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Der Weg zum Ziel ist das Problem

Die fachübergreifende Unterrichtung der modernen Lebenswissenschaften und da insbesondere die wissenschaftlichen und ethischen Fragestellungen der Stammzell-Forschung erörterten Experten und Lehrkräfte bei einer Tagung in Villigst

„Was es heißt, ein Mensch zu sein“ – so lautet der Untertitel des Buches „Treibsand“ von Henning Mankell, das er kurz vor seinem Tod im letzten Jahr vollendet hat. Mit diesem Untertitel werden Fragen angesprochen, die den Kern der Diskussion um die Stammzell-Forschung berühren: Wann beginnt (schutzwürdiges) Mensch-Sein? Was kommt uns als Menschen zu? Wo sind die Grenzen unserer Verfügbarkeit?
Um diese Fragen ging es auch auf der Tagung „Bioethik fachübergreifend und aktuell unterrichten“ im März in Haus Villigst. Das Institut für Kirche und Gesellschaft der Evangelischen Kirche von Westfalen und das Pädagogische Institut der Evangelischen Kirche von Westfalen hatten dazu eingeladen. Etwa 50 Lehrkräfte der Fachrichtungen Biologie, Religion, Philosophie sowie Deutsch und Englisch diskutierten dort über wissenschaftliche und ethische Fragestellungen zur Stammzell-Forschung und setzten sich mit der Bearbeitung der Thematik im Unterricht auseinander.
Was bewegt die Stammzell-Forschung aktuell? Welche therapeutischen Anwendungsmöglichkeiten sind zu erwarten? – Tobias Cantz, Stammzell-Forscher am Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin in Münster, vermittelte einen Einblick in den aktuellen Stand der Forschung mit den verschiedenen Typen von Stammzellen*. Besonders im Fokus stehen zurzeit die sogenannten „induzierten pluripotenten Stammzellen“, die durch Reprogrammierung (Rückentwicklung) aus Körperzellen (adulten Stammzellen) hergestellt werden: ein Verfahren, für dessen Entwicklung die Forscher John Gurdon und Shinya Yamanaka 2012 den Medizin-Nobelpreis erhalten haben.
Da die „induzierten pluripotenten Stammzellen“ aus adulten Stammzellen gewonnen werden – und sich somit grundlegend von embryonalen Stammzellen unterscheiden, für deren Gewinnung die Zerstörung von frühen menschlichen Embryonen erforderlich ist –, stellt sich die ethische Frage nicht mit gleicher Schärfe. Unproblematisch ist sie allerdings nicht, denn es ist in Tierversuchen gelungen, mit Hilfe dieser Zellen die Eigenschaften von Lebewesen maßgeblich zu beeinflussen: Damit wirft auch die Anwendung dieser Technologie an menschlichen Zellen Probleme auf.
Mit der Stammzell-Forschung ist die Hoffnung verbunden, durch Zell-Ersatz-Therapien Krankheiten behandeln oder sogar heilen zu können. Im Bereich von Herz-Kreislauf-Erkrankungen (zum Beispiel Herzinfarkt), neurologischen Erkrankungen (zum Beispiel Parkinson-Krankheit, Rückenmarks-Verletzungen) und Diabetes sind bereits einige Erfolge zu verzeichnen. Vorstellbar sind auch weitergehende Therapien, allerdings sind die damit verbundenen Gefahren von negativen Mutationen (zum Beispiel Krebserkrankungen) noch nicht beherrschbar.
Aufgrund der Tragweite der Chancen und Risiken der Stammzell-Forschung ist ein breiter gesellschaftlicher Diskurs über die Thematik erforderlich: Das Zellux-Projekt (siehe Kasten) hat sich zum Ziel gesetzt, diesen Diskurs zu fördern und ihn insbesondere im Schulunterricht zu verankern. Auf der Tagung stellte der Bioethiker Johann Ach von der Universität Münster die wesentlichen Aspekte dieser bioethischen Debatte dar.
Nach seiner Auffassung ist die entscheidende Grundlage für unser deutsches Embryonen-Schutz-Gesetz das sogenannte Potenzialitäts-Argument: Das heißt menschlichen Embryonen kommt moralischer Schutz zu, weil sie zwar nicht aktuell, aber potenziell über jene Eigenschaften verfügen, die für die Zu­schreibung dieses Schutzes ausschlaggebend sind. Gern wird auch vom „Prinz Charles-Argument“ gesprochen: Er ist nicht König von Großbritannien, hätte es aber werden können.
Forschung in begrenztem Rahmen ja, Anwendung weitgehend nein: So ist derzeit die Stammzell-Frage in Deutschland geregelt. Nach Einschätzung von Ach ist diese Lösung solange tragfähig, solange die therapeutischen Anwendungsmöglichkeiten relativ gering sind. Sollten aber in diesem Bereich Durchbrüche erzielt werden, wird es schwer werden, der Gesellschaft aufgrund von moralischen Prinzipien therapeutische Möglichkeiten zu verwehren.
Auch für die christlichen Kirchen wird es zunehmend komplexer, sich zur Stammzell-Forschung zu verhalten. Was heißt es, ein Mensch zu sein? Was tut uns Menschen gut? Diese Fragen verlangen eine intensive theologische Durchdringung.
Aus biblischer Sicht ist der Mensch Mensch, weil er auf Gott bezogen ist – auch schon in frühen Stadien seines Werdens. „Deine Augen sahen mich, als ich noch nicht bereitet war, und alle Tage waren in dein Buch geschrieben, die noch werden sollten und von denen keiner da war.“ So steht es in Psalm 139. Vielleicht kann es in dieser Perspektive gelingen, zugleich offen und kritisch mit der Stammzell-Forschung umzugehen – damit sie zu einer segensreichen Geschichte unseres Mensch-Seins wird.

* Die Deutsche Forschungsgemeinschaft informiert: „Eine Stammzelle ist eine Art Ursprungszelle, die sich unbegrenzt vermehren und alle Zelltypen des Körpers bilden kann (zum Beispiel Muskelzelle, Nervenzelle, Blutzelle). Diese Fähigkeit der Stammzellen bezeichnet man als Pluripotenz. Ein eigenständiger Organismus kann aus ihnen jedoch nicht mehr entstehen. Nur Zellen von sehr frühen Embryonen sind totipotent, das heißt, dass sich aus jeder einzelnen Zelle dieses Embryos durch Teilung ein eigenständiges Lebewesen entwickeln kann.(…) Je nach Herkunftsort der Stammzellen unterscheidet man embryonale (aus dem Embryo), fetale (aus dem Fötus) und adulte (von Säuglingen, Kindern, Erwachsenen) Stammzellen.“