„Eigentlich geht es hier schon los“, sagt Josef Schröer. Er führt seine Gäste die Treppen hoch in den zweiten Stock seines Hauses in der Bocholter Innenstadt. Dort hat er sein eigenes kleines Turmuhren-Museum eingerichtet.
Doch schon an die Wände des Treppenhauses hat er Zifferblätter gehängt, wie eine kleine Einstimmung auf seine Sammlung, die nicht mehr nur aus Uhren, sondern auch aus Glocken und Wetterfahnen besteht. Irgendwie gehören letztere ja auch dazu, findet der 80-Jährige. Alles rund um einen Turm sozusagen.
Schon als kleiner Junge war er fasziniert von dem großen Uhrwerk der Liebfrauenkirche, direkt gegenüber seinem Elternhaus. „Der Turm war unser Spielplatz“, erzählt Schröer und lächelt. „Wir kamen dabei immer an den Uhren und Glocken vorbei und irgendwann konnte ich mir dann meine erste Turmuhr kaufen. So hat es angefangen.“ Seine Augen glitzern, während er das erzählt.
Anfangs hat der Konditormeister seine Sammlung einfach in einem Teil des Lagers seiner Backstube aufgestellt. „Man brauchte gar nicht mehr so viele Vorräte“, sagt er ganz pragmatisch. Später zog er dann seine Uhren in eine leere Drei-Zimmer-Wohung seines Hauses um. 23 Exemplare besitzt er, „es kommt ja nicht auf die Masse an“.
Alle Uhren funktionieren, Schröer hat sie restauriert
In dieser Wohnung, die nun sein Museum ist, ist es merklich still. Die Holzdielen knarzen leicht bei jedem Schritt, tickende Uhren, die vom Fortgang der Zeit künden, sind jedoch nicht zu hören. Er ziehe immer nur einzelne Uhren für Besucher auf, erklärt er. Wenn 23 Uhren mit ihren kleinen Glocken gleichzeitig die Stunde schlagen, sei es doch etwas laut. Schließlich wohnen seine Frau und er auch in dem Haus.
„Aber alle Uhren funktionieren. Ich habe sie selbst restauriert.“ Es ist ihm wichtig, das zu betonen. Um das zu beweisen, bleibt Josef Schröer vor einem Modell von Korfhage und Söhne aus Buer stehen. Zieht das Uhrwerk ein Stück auf, die Zahnräder setzen sich in Bewegung, er dreht die Zeiger der Uhr ein bisschen vor und ein sanfter Glockenschlag ertönt, die Stunde hat geschlagen.
Turmuhren waren die ersten mechanischen Uhren und verbreiteten sich ab dem Mittelalter. Alle Menschen eines Dorfes oder einer Stadt konnten nun die allgemein gültige Zeit eines Ortes sehen. Diese richtete sich genau nach dem Stand der Sonne und war deshalb auch von Ort zu Ort unterschiedlich. Wobei dies jedoch damals kaum eine Rolle spielte: Wer verreisen musste, zählte die Reisedauer sowieso eher in Tagen als in Minuten. Mit Erfindung der Schlaguhr, bei der Gewichte das Uhrwerk mechanisch antreiben, musste kein Turmwärter mehr zur vollen Stunde die Glocke schlagen. Das passierte nun automatisch, nur die Gewichte mussten noch regelmäßig aufgezogen werden.
Damit konnten nun auch erstmals die bis heute üblichen äquinoktialen Stunden angezeigt werden: Das bedeutet, dass die Länge des Tages in 24 gleich lange Teile geteilt wurde. Es war nun möglich, zumindest für eine Region oder ein Herrschaftsgebiet eine einheitliche Zeit festzulegen.
„Dieser Stein ist von 1420 oder früher“, sagt Josef Schröer und zeigt nun auf einen weißen Stein, der unscheinbar auf der Fensterbank steht. An einer Stelle ist auf der Längsseite ein Loch eingehauen, feine Linien durchziehen den Quader. „Das war früher einmal die Sonnenuhr eines Gutshofes“, erzählt er. Doch dann hat der Bauer irgendwann eine mechanische Uhr bekommen, und sozusagen das Vorgängermodell als bloßes Gewicht weiterbenutzt.
Eines seiner schönsten Stücke ist die Turmuhr von J.R. Kindermann, die in der Verlängerung der Eingangstür steht. Das Ziffernblatt hat Schröer an die Wand geschraubt, das Uhrwerk steht davor. „Je länger das Pendel, desto langsamer läuft die Uhr“, erklärt der Sammler. Die Handwerker mussten genau berechnen, wie lang es sein musste und wie die Mechanik über die Zahnräder laufen sollte, damit wirklich jede Stunde 60 Minuten hat. Bei der Kindermannuhr bedienten sie sich eines Tricks: Das Pendel ist hier nach oben verlängert, statt nur herunterzuhängen. Das rückt gleichzeitig den Firmennamen in eine prominente Position, die Sonne des Logos wirft ein kleines Schattenspiel an die Museumswand.
Auch Wetterfahnen und Glocken sammelt er
„Ich hatte oft Glück“, sagt Schröer heute, wenn er über den Aufbau der Sammlung spricht. „Ich kannte Vertreter von Turmuhren, im Urlaub habe ich auch vor Kirchen schon alte Uhrwerke im Schuttcontainer gefunden und gefragt, ob ich sie mitnehmen kann.“ Auf diesem Weg fanden auch die beiden Turmspitzen der Basilika des Wallfahrtsortes Kevelaer zu ihm. Stolz führt Schröer Besucher auf seine Dachterasse, wo er sie zwischen allerlei anderen Wetterfahnen und Glocken aufgestellt hat.
Weil die Spitzen auf der Basilika erneuert werden sollten, lagen diese, die alten, schon im Gestrüpp, ein paar Tage später wären sie fort gewesen. „Ich konnte sie nicht stehen lassen. Aber Sie können sich vorstellen, was meine Frau gesagt hat!“ Schröer lacht herzlich, seine Frau hat sich mit seiner Leidenschaft zumindest arrangiert.
Wieder in der Wohnung, zeigt der 80-Jährige noch auf einen Holzkasten. Es ist keine Turmuhr und irgendwie dann doch zumindest etwas Ähnliches: Es sind die Ratschen, die in vielen katholischen Kirchen bis heute von Gründonnerstag bis Ostersonntag verwendet werden. Wenn nach dem Gloria die Glocken verstummen, ziehen in einigen Gemeinden bis heute Kinder mit den Lärminstrumenten durch die Straßen, um an die Gebets- und Gottesdienstzeiten zu erinnern. Mit diesem hölzernen Gerät, das nun bei Schröer in Bocholt steht, konnte der Küster bequem im Glockenturm die Ratsche anwerfen und jeder im Ort hörte die Einladung zum Gottesdienst.
„Rund um die Uhr frische Brötchen“
Zum Ende des Rundgangs führt Josef Schröer seine Besucher gerne in den Laden der Konditorei, die heute von seine Tochter geführt wird. Früher, als der Betrieb noch ihm selbst gehörte, war sein Leitspruch: „Rund um die Uhr frische Brötchen.“ Schröers Hobby verschmolz in gewisser Weise mit seinem Beruf. Seine Tochter hat dieses Motto aufgegriffen, als sie das Geschäft renoviert hat. Zwischen Nussecken, Erdbeerkuchen und Schokoladenpralinen hängen auch Uhren aus Vaters Sammlung.
Später einmal, erzählt Josef Schröer noch, wird sein Sohn seine Sammlung übernehmen. „Der hat Verstand dafür.“ Was klingt wie eine nüchterne Tatsachenbeschreibung, ist in Westfalen aber gleichzeitig ein großes Kompliment.
Josef Schröer führt sowohl Gruppen als auch Einzelpersonen durch sein Turmuhren-Museum. Eine vorherige Anmeldung zur Terminabsprache ist jedoch notwendig. Kontakt: Josef Schröer, Wesemannstr. 5, 46397 Bocholt, Telefon: (0 28 71) 1 76 30.