Als Superintendent erhielt Harald Sommer immer wieder Anrufe aus der Personalabteilung des Konsistoriums, ob er nicht noch eine Pfarrstelle im Kirchenkreis Teltow-Zehlendorf frei haben würde. Das ist nun etwa 15 Jahre her. Damals erlebte die evangelische Kirche eine Pfarrerschwemme. Seit sieben Jahren ist Harald Sommer selbst Personalchef der Landeskirche und muss bestimmte Pfarrerstellen immer wieder neu ausschreiben. Ende August geht er in den Ruhestand. Constance Bürger sprach mit ihm über den heutigen Pfarrermangel und neue Entwicklungen in der Landeskirche.
Herr Sommer, wie stellt man sich den Alltag eines Personalchefs einer Landeskirche vor? Wenn ich schätzen sollte, wie ich meine Zeit hier zugebracht habe, dann zur Hälfte an diesem Tisch mit Gesprächen oder vor Ort in den Gemeinden. Besetzungsfragen nehmen natürlich einen großen Teil ein. Es ist eine Alltagsfrage – über die Gaben von Pfarrerinnen und Pfarrern gemeinsam mit den Superintendenten oder mit den Gemeindeleitungen nachzudenken, um eine möglichst gute Besetzung zu erreichen. Außerdem habe ich mich sehr dafür eingesetzt, dass wir auf landeskirchlicher Ebene spezifische Fortbildungen mit Blick auf Personalentwicklung und Leitungsämter anbieten. Zu meinem Alltag gehörte auch Konfliktmanagement. Und gefühlt brauchen Konflikte mehr Zeit als das Lobhudeln der Kollegen, die Kirche lebendig machen. Gerade dafür müsste man eigentlich viel mehr Zeit haben. Das ist mir aber nicht in dem Maße gelungen wie notwendig.
Müssen Pfarrer heute mehr leisten als vor 35 Jahren, als Sie mit Ihrem Pfarrdienst begonnen haben?
Das gesprochene Wort steht im Zentrum. Das wird sich nicht ändern. Was sich geändert hat, ist die Grundeinstellung von Pfarrerinnen und Pfarrern zu ihrem Beruf. Work- Life-Balance ist etwas, das vor 30 Jahren sicherlich kein Thema gewesen ist, auch wenn die Frage einer Achtsamkeit auf persönliche und berufliche Bedürfnisse durchaus eine Rolle gespielt hat.
Ich hoffe aber, dass die Souveränität in der zeitlichen Gestaltung des Pfarrerberufs dadurch nicht verloren geht – auch unter der Frage, ob wir festschreiben 40, 45 oder 48 Stunden wöchentlich zu arbeiten. Es gibt Wochen, in denen ich 40 Stunden brauche und in anderen habe ich meine Aufgaben in 20 Stunden geschafft. Dazu wird zum Pfarrerinnen- und Pfarrertag der EKBO am 12. September diskutiert.
Der Trend unter jungen Leuten, aufs Land zu ziehen, steigt. Wenn man sich den Zuzug der Pfarrerinnen und Pfarrer auf das Land anschaut, ist das nicht so eindeutig zu beobachten. Warum?
Der berufliche Teil zum Studieren auf das Pfarramt hin – der Entsendungsdienst – beginnt oft nicht, bevor man 30 Jahre alt ist. Die Partnerbindung und Familiengründung ist dann schon vorbei – und passierte im Zusammenhang mit dem Studienort. Und das sind nun mal Städte. Und wenn die Partnerin oder der Partner in einer ungekündigten Stellung berufstätig ist, erschwert das vieles. Ich habe eine Bilanz gemacht für die Jahre, in denen ich für die Personalplanung verantwortlich war. Am Ende kommt heraus, dass die Entsendung der Pfarrerinnen und Pfarrer in die Sprengel ziemlich ausgeglichen ist.
Die Zahl der offenen Stellen nimmt immer weiter zu. Wie blicken Sie in die Zukunft?
Die Situation hat sich in den vergangenen 20 Jahren diametral gewandelt. Ich erinnere mich, wie mein Vorgänger in diesem Amt mich in meiner damaligen Funktion als Superintendent im Kirchenkreis Teltow- Zehlendorf anrief und fragte, ob ich nicht noch irgendeine Stelle offen habe. Das hat sich grundlegend geändert. Wir haben Stellen, die nicht mehr besetzbar sind. Die Spitze ist längst noch nicht erreicht. Wenn die Babyboomer jetzt in Ruhestand gehen – wie sie es in allen anderen Gesellschaftsgruppen auch tun – werden wir in den nächsten zehn Jahren die Hälfte des aktiven Pfarrerstandes verlieren. Wir werden andere Zugänge zum Pfarramt erschließen müssen.
Welche haben Sie da im Blick?
Die Kirchenleitung hat eine Tür für im Ehrenamt ordinierte Pfarrerinnen und Pfarrer in den hauptamtlichen Dienst geöffnet. Ich habe diese Personen alle angeschrieben, dass sie sich gern für den hauptamtlichen Beruf bewerben können. Das war mal ein Tabu. Es betrifft etwa 45 Leute. Voraussetzung sind fünf Jahre Ehrenamt im kirchlichen Dienst. Es melden sich auch immer wieder Personen, die um die 50 Jahre sind und zum Beispiel das erste theologische Examen gemacht haben. Sie merken, sie werden gebraucht – und sehen ihren Traum vom Pfarrerinnen- und Pfarrersein noch einmal vor sich. Auch da werden wir Möglichkeiten schaffen müssen.
Wenn Sie sich eine bestimmte Pfarrstelle zur besonderen Verfügung erträumen könnten, wie sähe diese aus?
Mein Traumpfarrer ist der, der so breit aufgestellt ist, dass er im Pfarrsprengel in der schlesischen Oberlausitz, in der Mittelstadt und in Berlin- Stadtmitte Pfarrdienst tun kann, dass er ins Medienhaus gehen und dass er Erinnerungskultur machen könnte. Ich habe oft gehört: „Hey, wir brauchen diese Pfarrer, unsere Pfarrstellen sind vakant.“ Wir benötigen aber überall Menschen, die theologisch denken, entwickeln, beeinflussen und auch in diesen funktionalen Bereichen tätig sind. Mein Traum ist, dass dieses Pfarrbild nicht zerstört wird.
Wie geht es jetzt für Sie weiter?
Ach, ich könnte in Kuratorien und Vereinen sitzen. Aber ich werde den Rest des Jahres erst mal schauen, was auf mich zukommt. Ich freue mich wahnsinnig darauf, von den Pflichten befreit zu sein – also wahrlich entpflichtet zu sein. Fulbert Steffensky hat einmal gesagt: Das Alter ist ein Lernprozess, wie man sich selbst als Gastgeber empfängt. Deshalb verreise ich erst einmal im September allein.