Symbol, Relikt, Hoffnungsträger: Der Schornstein der Sixtinischen Kapelle wird wieder zum Kommunikationsmittel zwischen Kirche und Welt. Dabei stand er früher für etwas ganz anderes.
Seit Mittwochabend richtet sich der Blick der Weltöffentlichkeit auf ein unscheinbares Stück Blech: den Schornstein auf dem Dach der Sixtinischen Kapelle. Solange kein weißer Rauch aufsteigt, bleibt er das einzige sichtbare Kommunikationsmittel zwischen dem abgeschotteten Konklave und der Außenwelt.
Der vatikanische Schornstein wirkt dabei wie ein Relikt aus einer anderen Zeit. In einer Ära ständiger Erreichbarkeit, in der Informationen in Sekundenschnelle um den Globus kreisen, erscheint das simple Rauchsignal beinahe archaisch.
Dabei war der Schornstein einst Symbol von Schnelligkeit. Mit der Industrialisierung ragten Schornsteine von Fabriken in den Himmel, standen für Leistung, Bewegung, Geschwindigkeit. Ebenso die Schlote von Dampflokomotiven – sie kündeten vom Aufbruch in eine mobile, beschleunigte Welt. Was uns heute nostalgisch anmutet, war damals der Inbegriff von Modernität.
Der Schlot im Vatikan steht nun für das Gegenteil: für Entschleunigung, Konzentration, Einkehr. Keine Push-Nachricht, kein Live-Ticker. Es ist eine Rückkehr zu einfachen Zeichen in einer komplexen Welt. Das scheint ihn für viele Menschen heute so anziehend zu machen – “Digital Detox” à la Vatikan sozusagen.
Doch der Schornstein ist nicht nur ein technisches Instrument oder ein Symbol des Fortschritts. Er ist tief in der westlichen Kulturgeschichte verankert. Bereits Clement Clarke Moore beschrieb ihn 1823 in seinem Gedicht “A Visit from St. Nicholas” (zu Deutsch: ein Besuch vom Heiligen Nikolaus) als Ort der Erwartung: “Die Kniestrümpfe wurden vor dem Schornstein sorgfältig aufgehängt, in der Hoffnung, dass der heilige Nikolaus bald da ist.” Für viele Kinder ist mit ihm die Hoffnung verbunden, dass Sankt Nikolaus ihnen über Nacht die gewünschten Geschenke bringt.
Auch im Vatikan ist mit dem Schornstein Hoffnung verbunden. Zwar bringt er keine materiellen Gaben, aber viele warten auf eine andere Art von froher Botschaft: dass ein Nachfolger Petri gefunden wird, denn für gläubige Katholiken steht der gewählte Papst für den Nachfolger des Jüngers Petrus, einen Mann, der Jesus sehr nahestand und zu dem er im Neuen Testament sagte: “Auf Dir will ich meine Kirche bauen.”