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Der erste Liebeskummer

Der erste Liebeskummer stellt bei Jugendlichen alles auf den Kopf. Sie können nicht mehr schlafen, haben keinen Hunger, ziehen sich zurück, sind unkonzentriert – Gefühle fahren Achterbahn. Nicht selten wird der erste Herzschmerz mit gut gemeinten Ratschlägen verniedlicht, als Erfahrung des Heranwachsens.

Henrik Walter, Professor und stellvertretender Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Charité in Berlin, hingegen vergleicht heftigen Liebeskummer mit einer Depression oder einem Drogenentzug. In einem Fachbeitrag hat er das Phänomen 2021 beschrieben genommen und resümiert: Liebeskummer kann zu viel Leid führen und ist ein wichtiger Risikofaktor für Suizid bei Jugendlichen und im jungen Erwachsenenalter.

Gerade bei Heranwachsenden werde die „erste große Liebe“ allumfassend, intensiv und leidenschaftlich wahrgenommen, erläutert Giovanni De Santis, Psychologe und Koordinator für die offene Sprechstunde bei der Onlineberatung der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (bke): „Typisch ist das Phänomen der Idealisierung. Jugendliche fixieren oftmals in der eigenen Liebesbeziehung das Zentrum ihres alltäglichen Lebens und fantasieren rasant schnell über Exklusivität und ein ‘für immer Zusammensein’“.

Silvia Fauck ist psychologische Beraterin und hat vor 20 Jahren ihre „Liebeskummerpraxis“ in Berlin eröffnet. „Es ist der erste Schock, ein Albtraum“, beschreibt sie den ersten Liebeskummer von Teenagern. „Und das alles auch noch mitten in der Pubertät und der hormonellen Dysbalance. So darf man auch die Scham, die die jungen Leute beim ersten Liebeskummer empfinden, nicht vergessen, je nachdem, was sie erlebt haben.“

Eine besondere Rolle spielten die sozialen Medien, sagt Dorothea Jung von der fachlichen Leitung der bke-Onlineberatung mit Sitz im bayerischen Fürth: „In Krisenzeiten wie bei akutem Liebeskummer können diese Kontakte zum einen sehr unterstützend wirken.“ Gleichzeitig gilt aber auch: Der Leidensprozess könne immer wieder neu angekurbelt werden, „wenn etwa ständig geschaut wird, was macht der/die Ex gerade, mit wem trifft er/sie sich. Das sollte vermieden werden.“

Besorgten Eltern rät Giovanni De Santis: Sie sollten im Leben der Kinder durchgängig „hellhörig“ sein, was aber nicht bedeute, dass immer sofortiges Handeln notwendig sei. „Sollten jedoch Symptome wie auffälliger sozialer Rückzug, abrupte Notenverschlechterung bis hin zur Schulverweigerung oder körperliche Beschwerden wie Bauch- und Kopfschmerzen eintreten sowie vorher nicht beobachtete Konzentrationsprobleme, Tendenzen der räumlichen Desorientierung, auffälliges Essen- und Schlafverhalten, ist anzuraten, psychologische Beratung einzuholen.“

Silvia Fauck nennt eine Faustformel: „Man sagt, nach etwa sechs Wochen, wenn das Kind immer noch leidet, nichts isst, nicht schläft, dann sollten Eltern reagieren und mit dem Kind zum Arzt gehen.“

Auch wenn es nicht so schlimm ist, dass ein Arzt aufgesucht werden muss: Um dem Kind zu helfen, sei „Da-Sein“ und sich den Sorgen mit Achtung und Respekt zu widmen das zentrale Element, beschreibt De Santis. Wobei Jugendliche nicht das Gefühl entwickeln sollten, sich bedrängt zu fühlen. Das könne zu Entmutigungen im Umgang mit eigenen Anpassungs- und Lösungsversuchen führen – und damit zu noch mehr Rückzug und Widerstand. De Santis: Eltern sollten weniger reden, mehr zuhören, vielleicht auch mal in den Arm nehmen.

Liebeskummer-Expertin Fauck formuliert es so: „Das Signal, wir sehen, dass es dir schlecht geht, wir sind für dich da, wenn du uns brauchst, halten immer zu dir.“ Ihre Erfahrung: „Das Kind kommt von alleine, wenn es reden will.“ Wobei Eltern auch einfach nur einen Brief ins Zimmer des Kindes legen könnten, in dem ein liebevoll gemeintes Gesprächs-Angebot formuliert sei.

„Mitunter ist dann auch die beste Freundin oder einfach mal die Oma als Vertrauensperson besser geeignet, getreu dem Motto in der Pubertät: Eigentlich sind die Eltern das Schlimmste, was man haben kann“, sagt Fauck. Ansonsten helfe kaum etwas besser bei Liebeskummer als Sport, negative Denkmuster würden durchbrochen, Stresshormone abgebaut.

Im besten Fall lernten die Jugendlichen, dass zum Erwachsenwerden die Fähigkeit zur Leidenschaft für und mit einem anderen Menschen gehöre, sagt Giovanni De Santis. Und er unterstreicht: „Vergessen wir nicht: in Situationen des starken Leidens tendieren auch wir Erwachsene dazu, ‘wieder klein‘ zu werden, Geborgenheit zu suchen. Jugendliche sollten in der Krise auch so oft wie möglich das Gefühl erleben dürfen, nicht nur ihre wichtigen Freunde um sich zu haben, sondern auch immer den ‘sicheren Hafen’ zu Hause aufsuchen zu können.“