Beim ersten Mal ist es so etwas wie eine sportliche Herausforderung: Schaffe ich die sieben Wochen Verzicht? Ohne Süßes, ohne Zigaretten, ohne Auto? Wenn es geklappt hat, ist da ein kleines bisschen Stolz, und auch ein bisschen Staunen: Ja, ich habe genug Selbstdisziplin, um diese Zeit durchzustehen – und: Nein, ich bin gar nicht so abhängig von scheinbar Unverzichtbarem, wie ich immer dachte.
Wer das Fasten jedoch schon ein paar Jahre lang praktiziert, der merkt: Egal, wie groß die Vorsätze waren, in Zukunft achtsamer zu leben und mit weniger zufrieden zu sein – nach einigen Wochen relativiert sich das Ganze wieder. Es bleibt wenig außer dem Gefühl: Ich schaffe das.
Aber ist das der Sinn von Fasten? Wieso verzichten wir überhaupt diese sieben Wochen lang auf Annehmlichkeiten und Gewohnheiten? Einmal im Jahr raus aus dem Trott, sagen die einen. Das tut gut und bringt etwas frischen Wind in eingespielte Konsumgewohnheiten und Bequemlichkeiten.
Andere reizt der Verzicht nach dem Motto: Triebaufschub bringt Lustgewinn – wenn ich also mit der sofortigen Befriedigung meines Bedürfnisses nach Süßem oder nach Alkohol warte, ist der Genuss hinterher umso größer.
Wieder andere suchen nach größerer spiritueller Tiefe im Fasten, indem sie etwa dem zeitraubenden Medienkonsum bewusst meditative Übungen in der Stille oder in Gemeinschaft entgegensetzen.
Alles nachvollziehbare Motive für den Verzicht. Aber findet sich darin nicht auch eine Form der Selbstperfektionierung, die in unserer Gesellschaft immer wichtiger wird – nach dem Motto: Gut darf sich fühlen, wer diszipliniert ist, Herausforderungen besteht und dabei auch noch ein bisschen auf Nachhaltigkeit achtet?
Wenn Fasten etwas mit Glauben zu tun haben soll – wie kommen wir in den „sieben Wochen ohne“ Gott näher oder verändern die Welt in seinem Sinne zum Guten?
Martin Luther hat radikal aufgeräumt mit der Einordnung des Fastens als einem guten Werk, mit dem Gott versöhnt werden soll. Trotzdem wollte er das Fasten nicht aufgeben. Er sah darin die Möglichkeit, den „alten Adam“ abzutöten und sich dadurch zu öffnen für Gottes Geist – Verzicht also als eine Form der besonderen Zuwendung zu Gott. Eine andere Interpretation findet sich in dem Bild von der Nächstenliebe, die wie ein Muskel trainiert werden muss: Wer den Verzicht nicht einübt, der wird es schwer haben, ihn zugunsten anderer zu leisten, wenn es darauf ankommt.
Klar ist: Sieben Wochen ohne Süßes, ohne Fleisch, ohne Auto lösen nicht die Probleme des Hungers in der Welt, der Massentierhaltung oder des Klimawandels. Müssen sie auch nicht. Aber sie sollten sich auch nicht einfach auf ein persönliches gutes Gefühl beschränken. Fasten kann dabei helfen, von sich selbst abzusehen, den Blick zu heben und Gott, den Nächsten und die Welt besser wahrzunehmen. So kann aus dem Verzicht Reichtum werden – für uns und andere.
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Den „alten Adam“ zähmen
Der zeitweise Verzicht auf Konsum in den sieben Wochen vor Ostern ist wieder in Mode. Aber was hat diese Übung in Selbstdisziplin eigentlich mit dem Glauben zu tun?