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“Death Education” will Sprachlosigkeit über den Tod überwinden

Der Tod gehört noch immer zu Themen, die Menschen am liebsten verdrängen. Dabei werden hierzulande durch die Bevölkerungsentwicklung in den kommenden 20 Jahren viele Menschen sterben. Zeit, sich dem Thema zu stellen.

Nichts im Leben ist so sicher wie der Tod. Dennoch machen viele am liebsten einen großen Bogen um das Thema. Nach Ansicht der Psychologin Verena Kast kann das Leugnen des Todes und das Vermeiden, sich mit dem eigenen Tod auseinanderzusetzen, “zu großen persönlichen Problemen führen”, wie sie in ihrem neuen Buch “Abschied als Anfang” schreibt. Wer nicht loslassen, etwas sterben und enden lassen könne, verweigere sich dem Leben. Denn: Nur wenn Menschen die Perspektive auf den eigenen Tod akzeptieren könnten, “werden uns das Leben und das Lebendigsein kostbar”.

Der Tod sei schließlich keine Strafe, sondern gehöre zum menschlichen Leben dazu, schreibt die Psychotherapeutin. “Haben wir uns mit unserer Sterblichkeit versöhnt, so befinden wir uns in Übereinstimmung mit dem Werden und Vergehen der Natur und alles Natürlichen”. Wer sich Trauer und Tod stelle, könne zu neuer Lebendigkeit finden.

Die Psychotherapeutin verweist auf die us-amerikanische Bewegung “Death Education”, die sich für Wissensvermittlung rund um Tod, Sterben und Trauer entsetzt. Dahinter stehe die Ansicht, dass das Leugnen des Todes, das Vermeiden, sich mit dem eigenen Tod auseinanderzusetzen, letztlich auch zu gesellschaftlichen und politischen Problemen führen könne. “Menschen mit großen Machtproblemen denken nicht über den Tod nach, weil ihr fragiles Selbstwertgefühl das nicht zulässt.” Folgen solcher, den Tod verdrängenden Allmachtsfantasien seien Gewalt- und Kriegsbereitschaft sowie ein zerstörerischer Umgang mit Umwelt und Natur.

Das Bewusstsein über den Tod zu fördern, ist also auch eine gesellschaftliche Herausforderung. Der Lüneburger Verein “Miteinander in Europa” befasst sich mit den gemeinsamen Werten der EU und hat in Anlehnung an die US-amerikanische Bewegung das Bildungsprojekt “Death Education” (DED) ins Leben gerufen. Es möchte helfen, Sprachlosigkeit zu überwinden und “Menschen in der Europäischen Gemeinschaft zu einem bewussten Umgang mit der eigenen Endlichkeit ermutigen”wie es auf der Homepage des Vereins heißt. Es gehe um einen “heilsamen Umgang mit der eigenen Sterblichkeit und der damit verbundenen Trauer”.

Sich des eigenen Sterbens bewusst zu sein, sei auch eine Form von Lebenskunst, schreibt Psychologin Kast. Wer in die vielen Veränderungen, Verluste, Abschiede im Leben einwillige, könne gerade dadurch dem eigenen Leben immer wieder neu eine Gestalt geben. “Je akzeptierender wir den Tod in das eigene Lebenskonzept einbauen, desto lebendiger vermögen wir das Leben zu leben”. Im Mittelalter habe die Mahnung des Memento mori – “Bedenke, dass Du sterblich bist” – wie ein erhobener Zeigefinger fungiert. Ein Gedanke, der in die heutige, oft von Jugendwahn, Schönheits-OPs und Life-Style geprägte Zeit nicht zu passen scheint.

Berührungsängste mit den Themen Sterben, Tod und Trauer abzubauen – das ist auch ein Ziel des Master-Studiengangs “Perimortale Wissenschaften”. Er wird seit dem Wintersemester 2020/21 an der Universität Regensburg angeboten. Das viersemestrige Studium möchte “Trostwissen” bereitstellen und Sterbe- und Trauerbegleitung akademisch neu eröffnen, wie der katholische Moraltheologe Rupert Scheule, Mitinitiator des Studiengangs, erklärt. Schließlich seien Theologie und Kirche immer noch “Kompetenzzentren” für die Letzten Dinge. “Bestattungsexpertise allein schafft noch keinen guten Abschied.”

Derzeit beschäftigen sich in Regensburg rund 90 Studierende mit Sterben und Tod. Dass diese aus dem ganzen deutschen Sprachraum kommen – inklusive Brixen und Luxemburg -, freut Scheule. Ein Drittel absolviere das Aufbaustudium mit Anfang 20, das zweite Drittel komme “mitten aus dem Berufsleben” – Mediziner und Trauerbegleiter, “die noch besser werden möchten”. Und die anderen studierten, meist nach dem Renteneintritt – aus reinem Interesse. “Die älteste Absolventin ist 75 Jahre alt”, sagt Scheule.

Das breite Altersspektrum der Studierenden ist für den Theologen ein Gewinn. “Wir lernen von- und miteinander”, sagt er. Auch er lerne immer noch dazu. Ihn freut zudem, dass die Studienteilnehmer “für das Thema brennen” und sehr motiviert seien. “Sie machen es nicht für das Masterzeugnis oder um damit anschließend viel Geld zu machen.”

Die Absolventen hätten danach “das Handwerkszeug, Trauernden nahe zu sein”. Beruflich gebe es bei diesem existenziellen Thema “viele Andockstellen”, auch durch ein Praktikumssemester beim Bestatter oder im Hospiz. Der Umgang mit dem Tod sei ein boomender Bereich, sagt Scheule. “Die nächsten 20 Jahre werden eine Zeit mit hohem Leichenaufkommen, wenn die Babyboomer sterben”. Zugleich wollten viele Menschen heute anders – personalisierter – sterben und trauern.

“Unsere Absolventen positionieren sich auf coole Art und Weise”, sagt der Theologe. Einige hätten alternative Bestattungshäuser aufgebaut, ein Absolvent habe ein Start-Up mit stilvollen Papierurnen gegründet. Und eine Projektmanagerin begleite jetzt Teams und Unternehmen, in denen es einen Todesfall gegeben habe – “so etwas verwundet immer ein Team und eine Betriebsgemeinschaft”.