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Das Lachen der Täter

Menschen, die anderen das Leben nehmen, lachen oft darüber. Was dieses grausame Detail verrät – und zwar nicht nur über die Täter, sondern über uns alle: Darüber hat Klaus Theweleit ein Buch geschrieben. Ein Gespräch über die Abgründe im Menschen

KNA/Max Theweleit

Srebrenica, Utoya, Mossul – von diesen Orten erzählt das neue Buch des Kulturtheoretikers Klaus Theweleit. Er lenkt den Blick auf ein Detail, über das immer wieder berichtet wird: das „Lachen der Täter“. Laut Theweleit offenbart es die menschliche Lust am Töten. Im Interview mit Paula Konersmann spricht der Autor über islamistische Propaganda, Ursachen von Gewalttaten und die Rolle der Religion.

Schon bei der Kreuzigung Jesu spielte Verhöhnung, das Auslachen des Opfers, eine zentrale Rolle. Woher kommt das?
Indem Menschen anderen das Leben nehmen, fühlen sie sich selbst offenbar lebendiger. Das gilt ganz global: Das Gefühl der Selbstverlebendigung äußert sich in exzessivem Gelächter.

Wie wichtig ist dabei der Faktor Religion?
Die lachenden Täter der letzten Jahre, angefangen bei Bin Laden und Al-Kaida, hatten mit Religion nicht viel am Hut, bevor sie Terroristen wurden. Der Norweger Anders Breivik, der 2011 in Oslo und auf der Insel Utoya 77 Menschen ermordete, nahm sich christliche Tempelritter im Mittelalter zum Vorbild. Täter können sich also ebenso aufs Christentum berufen wie auf den Islam. Die SS-Schergen waren überzeugt, zu einer höheren Rasse zu gehören; andere glauben, die bessere Hautfarbe zu haben. Daraus stricken Menschen sich eine Argumentation, in der sich der Einzelne als schuldlos betrachtet: Er ist überzeugt, im Namen einer höheren Macht zu handeln. Die Religion übernimmt in einigen Fällen diese Funktion, ohne dass die Täter religiös sind.

Kann jemand mit „natürlicher Hemmschwelle“ die von Ihnen beschriebene Tötungslust über-haupt nachvollziehen?
Wenn übergeordnete Institutionen das Töten erlauben, beteiligen sich auch Menschen daran, die vorher unauffällig gelebt haben. Das war im Dritten Reich gegenüber den Juden der Fall ähnlich wie in Ruanda gegenüber den Tutsi. Diese Potenz ist in sehr vielen Menschen angelegt, zugespitzt gesagt: in allen. Wir sind zunächst nicht zu Ende geboren, wie ich es nenne, und brauchen Zuwendung: Eltern, Freunde und Partnerschaft, gute Beziehungen im Verein oder in der Nachbarschaft, eine Arbeitsstelle. All das trägt dazu bei, den Einzelnen zu stabilisieren.

Perspektivlosigkeit nennen viele Experten auch als Erklärung, wenn junge Menschen aus dem Westen sich Terrormilizen wie dem Islamischen Staat (IS) anschließen.
Diese Menschen erleben eine fundamentale Unsicherheit. Oftmals sind sie hier geboren und aufgewachsen, unterscheiden sich aber äußerlich von der Mehrheit. Wenn sie merken, dass sie deshalb ausgegrenzt werden oder Beziehungen deshalb nicht gelingen, dann ist die Verführung groß. Gerade Jugendliche, die unter den sexuellen Verunsicherungen der Pubertät leiden, sind dafür anfällig. Diese körperlichen Zustände sind entscheidend: Die Betroffenen erleben eine Angst vor der Fragmentierung des eigenen Körpers, die mit Worten wie „Depression“ nur unzureichend beschrieben ist. Und dann bieten ihnen die Dschihadisten eine sichere Gruppe, Macht und die vermeintliche Chance, etwas zu erreichen.

Welche Rolle spielen die Medien dafür?
Eine riesige. Viele Taten erhalten durch Berichterstattung eine Bedeutung, die sie statistisch betrachtet nicht haben. Zwar hat sich etwa im Nordirak eine Terrorgruppe die politisch-militärische Macht erkämpft. Doch in den westlichen Ländern geht es um kleine Minderheiten. Die meisten Taten, über die im vergangenen Jahr berichtet wurde, hätten vor 20 Jahren keine Aufmerksamkeit erfahren – schlicht, weil es das Internet nicht gab und Journalisten nicht vor Ort waren.

Vor allem der IS nutzt das Internet massiv für Propaganda.
Ja, und die damit verbundene Ausstellung von Gewalt ist ein zentraler Bestandteil der Taten. Die Täter wollen nicht einfach nur morden, sondern die Welt soll sie wahrnehmen. Sie möchten erreichen, dass andere Angst bekommen oder ihnen folgen.

Hat sich das „Lachen der Täter“ in der Geschichte verändert?
Es war und ist ein zentrales Begleitphänomen von Mordtaten, gerade gegenüber Minderheiten, die ausgerottet werden sollen. Doch die Ausstellungsmöglichkeiten sind in der Moderne angewachsen. Wichtig ist vielen auch, die eigenen Ansichten bekannt zu machen. Anders Breivik etwa sagt, er hat die jungen Sozialdemokraten vor allem erschossen, damit sein Pamphlet gelesen wird. Das gilt auch für die führenden Köpfe dschihadistischer Organisationen: Sie wollen die Macht.

Viele Täter werden im Nachhinein als nett und unauffällig beschrieben. Was bedeutet das für das gegenseitige Vertrauen, auf dem unsere Gesellschaft beruht?
Dieses Vertrauen ist eine brüchige und heikle Angelegenheit. Schon bei Auseinandersetzungen in Nachbarschaften oder im Verein, bei Stammtischen oder Feierlichkeiten grenzt das Verhalten vieler Menschen an Gewalt. 15 Leute, die sich über ein Opfer lustig machen – das kommt ei-ner sozialen Auslöschung gleich. Zivile Arbeit besteht darin, dieses Gewaltpotenzial in sich selbst sowie in der eigenen Umgebung zu entdecken und es möglichst niedrig zu halten.