Hamburg/Flensburg. Das Boulevardblatt war schnell zur Stelle: „Es ist das JA des Jahres!“, freute sich die Bild-Zeitung über die Hochzeit von Finanzminister Christian Lindner und der Journalistin Franca Lehfeldt. Doch nicht nur die bunten Blätter interessierten sich für die Hochzeit auf Sylt. Denn das Paar ließ sich in St. Severin in Keitum kirchlich trauen – obwohl beide nicht Mitglied einer Kirche sind.
Das schlug Wellen, und ein paar Tage nach der Hochzeit gab Lindner dem christlichen Magazin Chrismon ein Interview: „Es gibt ein Mehr, das über uns beide und unser gemeinsames Leben hinausweist. Das in einem Gottesdienst zu bedenken und den Segen zu empfangen, war mir wichtig“, sagte er. Gemeindepastorin Susanne Zingel habe ihn in seinem Nachdenken bestärkt, in die evangelische Kirche einzutreten.
“Tolle Möglichkeit”
Dass nun reihenweise Ehepaare ohne Religionszugehörigkeit kirchlich heiraten wollen, davon gehen Geistliche im Norden nicht aus. „Das kommt selten vor“, sagt Pastorin Angelika Gogolin, die für die Hamburger Ritualagentur St. Moment das Thema Hochzeiten betreut. Wenn Menschen eine Trauung wünschten, sollte man das ernst nehmen. „Genau dafür sind wir da“, findet sie. In diesem Jahren stünden zwei solcher Trauungen bei ihr auf dem Programm. Sie seien eine tolle Möglichkeit, die Menschen in kirchliche Räume einzuladen und ihnen von Gott zu erzählen.
Zu Trauungen schreibt die Nordkirche vor, dass mindestens ein Partner Mitglied einer evangelischen Kirche sein muss. Ausnahme sind die sogenannten Erprobungsräume, mit denen die Nordkirche Neues testen möchte. Dazu gehört auch die Hamburger Ritualagentur.
Auf kirchliche Trauungen hinzuweisen, ist offenbar selbst bei Kirchenmitgliedern nötig. Weniger als die Hälfte der Hamburger Paare mit Kirchenmitgliedschaft lässt sich nicht kirchlich trauen, sagt Gogolin. Das liege oft daran, dass bei den Menschen die Bindung an ihre Ortsgemeinde nicht mehr vorhanden sei.
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Auch in Schleswig-Holstein treten Paare ohne Religionszugehörigkeit kaum vor den Traualtar. „Das kommt so gut wie nie vor“, sagt der Flensburger Stadtpastor Johannes Ahrens. Falls es doch mal passieren sollte, würde er positiv reagieren. Er würde sich freuen, dass das Paar die Kirche für seine Trauung in Betracht zieht. Warum das Paar nicht in einer Kirche sei, könne man in einem Gespräch erörtern.
Gottesdienst von Freunden gestaltet
Generell hat der Theologe festgestellt, dass sich die Arten der Trauungen geändert haben. „Der Normalfall wird weniger, immer häufiger erleben wir ungewöhnliche Konstellationen“, sagt er. Ahrens berichtet von einem muslimischen Mann und einer katholischen Frau, die sich dazu entschlossen haben, in einer evangelischen Kirche zu heiraten. Die Trauung soll noch in diesem Jahr stattfinden.
Außerdem komme es oft vor, dass zum Beispiel Freunde bei der Gestaltung der Trauung mitwirken und etwa eine Rede halten. Das sei bereichernd, unabhängig von der Religionszugehörigkeit. Deshalb sagt Ahrens, dass er die Kritik am Ablauf von Lindners Trauung nicht nachvollziehen konnte. Dort hatte der Philosoph Peter Sloterdijk die Traurede gehalten – ein Umstand, den etwa Margot Käßmann kritisiert hat. Sloterdijk hatte das Christentum als „gescheitertes Projekt“ bezeichnet.
Freundliche Zurückhaltung
Um eine Trauung von zwei nichtkirchlich Gebundenen ist in Mecklenburg-Vorpommern anscheinend noch niemand gebeten worden, ergab eine kleine, mehr zufällige Umfrage bei – zugegebenermaßen nur einem Dutzend – Pastoren. Und es war auch deutliche Zurückhaltung – um es freundlich auszudrücken – bei diesem Thema zu spüren.
Seelsorgerliche Begleitung gelte für alle, die darum bitten, betont Pastor Matthias Borchert in Kühlungsborn. Er spendet Segen allen, die darum bitten, auch wenn sie nicht Kirchenmitglieder sind. Eine kirchliche Trauung aber sei etwas anderes. Wir würden als Kirche unglaubwürdig, wenn jeder machen könne, was er wolle, sagt er. „Wir brauchen feste Verabredungen.”
Pastor Roger Thomas in Dreveskirchen ist auch noch nie nach einer Trauung von zwei Nichtmitgliedern gefragt worden, betont aber, dass unsere „Mitgliedschaftsvorstellung sehr, sehr überholt ist“ und dringend überdacht werden müsse. „Mit unseren starren Konzepten kommen wir nicht weiter“, sagt er und ist immer wieder überrascht, dass sogar in der Kerngemeinde manche nicht wissen, dass man selbstverständlich auch kirchlich getraut werden kann, wenn nur ein Partner Kirchenmitglied ist.