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Das Auge der Republik – Ausstellung über Fotograf Jupp Darchinger

Sein Revier war Bonn – als es noch Bundeshauptstadt war. Von Adenauer bis Schmidt hat Jupp Darchinger alle Kanzler, die Staatsoberhäupter und Wirtschaftsgrößen aufs Bild gebannt. So wurde er zum Chronisten der Bundesrepublik – wie eine neue Ausstellung eindrucksvoll beweist.

Bonn am 6. Juli 1967. Es ist, als säße man direkt am Kabinettstisch im sommerlichen Garten des Palais Schaumburg. Kanzler Kiesinger im Vier-Augen-Gespräch mit Außenminister Brandt. Minister und Staatssekretäre am Runden Tisch im Schatten eines mächtigen Baumes. Die erste Große Koalition aus CDU/CSU und SPD einigt sich auf die “mittelfristige Finanzplanung”. Und Fotograf Jupp Darchinger hat das sprechende Schwarz-Weiß-Foto dazu geliefert.

“Wer zu nah rangeht, sieht zu wenig”. Das war ein Motto von Josef Heinrich Darchinger (1925-2013), der das Bild der Bonner Republik als Foto-Chronist entscheidend mitgeprägt hat. Vom “Wirtschaftswunder” der Adenauer-Ära bis in die Anfangsjahre des wiedervereinigten Deutschlands hat er ikonische Momentaufnahmen und ausdrucksstarke Porträts geliefert. Kanzler und Staatsgäste, aber auch Fabrikarbeiter und Putzfrauen des Bundestags hat er fotografiert.

Seine Aufnahmen von Persönlichkeiten wie Willy Brandt, Helmut Schmidt und Richard von Weizsäcker sind Ikonen der Zeitgeschichte. Auch Kurienkardinal Joseph Ratzinger hat er aufs Bild gebannt und ihm prophezeit, er werde mal Papst werden. Seine Fotografien erschienen in allen großen Medien – von der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung”, der “Süddeutschen Zeitung” und “Die Zeit” bis zu Magazinen wie “Stern”, “Bunte” und “Spiegel”.

Am 6. August steht der 100. Geburtstag des Fotografen an. Deshalb präsentiert das LVR-Landesmuseum in Bonn ab Donnerstag die Ausstellung “Jupp Darchinger. Das Auge der Republik”. 2008 hatte er sein Bildarchiv an die Friedrich-Ebert-Stiftung übergeben. Das Archiv der sozialen Demokratie bewahrt seither rund 1,6 Millionen Negative, 60.000 Positive und 30.000 Dias auf. 130 Aufnahmen sind jetzt bis zum 14. September im Landesmuseum zu sehen. Darunter auch das berühmte Bild vom Hustenbonbon, das SED-Chef Erich Honecker Kanzler Helmut Schmidt 1981 in Güstrow ins Zugabteil reichte.

Das Porträt blieb für Darchinger das wichtigste Ausdrucksmittel. Er arbeitete nur mit den gegebenen Lichtverhältnissen, wählte enge Ausschnitte und hohe Schwarz-Weiß-Kontraste. Bei Fototerminen dirigierte er selbstbewusst sein Gegenüber, begegnete er auch Konzernvorsitzenden und Staatsoberhäuptern auf Augenhöhe. Darchinger selbst nannte die Fähigkeit, schnell eine Verbindung zu Personen aufbauen zu können, seine “Menschenfängermethode”. Wichtig war ihm, wegzukommen vom steifen Shakehands-Bild.

Darchinger suchte den besonderen Augenblick und die ungewöhnliche Perspektive. Er fotografierte die Putzfrau, die im leeren Bundestag sauber machte, die Arbeiter, die den roten Teppich vor dem Kanzleramt ausrollten, und eine lange Reihe von Aktenordnern mit dem Haushaltsentwurf der Bundesregierung. Auch Alltagsszenen aus dem “Bundesdorf” Bonn fing er ein: Jugendliche vor einem Kaugummiautomaten im Wirtschaftswunderland, Feierabend vor Gummibaum und Musiktruhe.

Dass Darchinger dabei auch geschickt auf sein wirtschaftliches Auskommen achtete, zeigen die sogenannten Themenbilder, die ein gesellschaftspolitisches Thema symbolisch und möglichst zeitlos verdichten. Eine surrealistisch wirkende Nahaufnahme zahlreicher Glasaugen etwa löst ein beklemmendes Gefühl der Überwachung aus: Als Symbolbild konnten es seine Medienkunden vielseitig zur Berichterstattung über Themen wie Sicherheit, Überwachung oder Spionage verwenden.