Sportwettanbieter nennen sie gerne den “13. Monat”: Fußballturniere gehören für sie zu den lukrativsten Einnahmequellen. Genaue Zahlen für die Europameisterschaft 2024 liegen noch nicht vor; der Deutsche Sportwettenverband rechnete aber mit Wetteinsätzen in Deutschland von bis zu einer Milliarde Euro. Die Olympischen Sommerspiele sind dabei nicht berücksichtigt. Zum Start der Fußball-Bundesligasaison am kommenden Freitag hoffen Wettanbieter erneut auf steigende Einnahmen.
Sportwetten sind auch für Veranstalter teils hoch profitabel: Zu den Hauptsponsoren der Fußball-Europameisterschaft 2024 gehörte Betano, eine Plattform der österreichischen Betkick Sportwettenservice GmbH. Der Beauftragte der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen, Burkhard Blienert, kritisierte im Gespräch mit dem rbb Werbung für Sportwetten. Er warnte vor steigenden Zahlen an Suchterkrankten.

Laut Glücksspielatlas sind in Deutschland 1,3 Millionen Menschen spielsüchtig. Weitere 3,3 Millionen zeigen erste Symptome oder sind gefährdet. Besonders bei Sportwetten nimmt die Zahl der Betroffenen offenbar deutlich zu: “Die Zahl der Anfragen von Spielsuchtbetroffenen insgesamt blieb bei uns in den letzten Jahren relativ konstant”, sagt Benedikt Tichelmann, Suchtberater im Caritasverband des Bistum Augsburg. “Bei Sportwetten aber steigen die Zahlen kontinuierlich.”
Seit 2021 sind Online-Sportwetten legalisiert
2021 wurden Online-Sportwetten mit dem Glücksspielstaatsvertrag in Deutschland legalisiert. Mit deutscher Lizenz sind sie erlaubt – unter Auflagen: Ein Online-Casino muss demnach geeignete Vorkehrungen treffen, “der Entstehung von Glücksspielsucht vorzubeugen”. Möglich ist zum Beispiel ein Einzahlungslimit. Anbieter müssen außerdem einen Notfall-Button bereitstellen, mit dem sich Spieler selbst sperren lassen können.
Der Beliebtheit von Online-Wetten tut das keinen Abbruch. Im Gegenteil: Laut Hochrechnungen der Plattform Statista wird der Umsatz von Online-Sportwetten 2024 etwa 1,96 Milliarden Euro betragen. 2021 lag er noch bei 1,20 Milliarden. “Bei Online-Sportwetten gibt es weniger Hürden”, sagt Tichelmann. “Online-Wetten sind immer verfügbar. Betroffene müssen nicht erst zum Wettbüro laufen.” Wettspiele seien außerdem oft schambehaftet – online verlaufen sie jedoch im Verborgenen, ohne Geldscheine. Selbst Kredite sind oft mit wenigen Klicks möglich.
Nicht als Glücksspiel im Bewusstsein
In die Suchtberatungsstellen kommen meistens Männer: Tichelmann hatte noch keine einzige Frau in seiner Beratung. Viele steigen mit 18 Jahren in Tippgemeinschaften ein. Mit Anfang 20 sind einige bereits süchtig. Der Großteil aller Betroffenen in der Beratungsstelle ist zwischen 18 und 40 Jahre alt. “Manche haben wenig Geld und möchten sich ein wenig Luxus gönnen”, sagt Tichelmann. Andere besäßen Geld im Überfluss, zum Beispiel nach einer Erbschaft, und hofften, es vermehren zu können.

“Betroffene sehen Sportwetten oft nicht als Glücksspiel an”, sagt Tichelmann. “Sie sind sich ihrer Sucht deshalb gar nicht bewusst.” Anders als klassische Wettspiele vermittelten Sportwetten den Anschein, nicht völlig dem Zufall zu unterliegen. Sportfans, so der Berater, wähnten sich oft als Experten: “Sie glauben, Spielergebnisse mit großer Wahrscheinlichkeit vorhersagen zu können, machen aber oft Verluste.”
Legale Anbieter nehmen weniger ein
Zuletzt gingen die Einnahmen legaler Glücksspielanbieter nach Angaben des Deutschen Sportwettenverbandes kontinuierlich zurück. Für 2023 meldete der Verein Spieleinsätze von 7,7 Milliarden Euro – 5,4 Prozent weniger als im Vorjahr. 2022 lag der Rückgang bei über 13 Prozent.
Laut Sportwettenverband sind nach der Online-Öffnung 2021 einige Anbieter auf den Schwarzmarkt abgewandert. Nicht alle Online-Casinos sind in den offiziellen Umsatzzahlen verzeichnet. Tichelmann fordert strengere Kontrollen. “Die gesetzlichen Vorgaben an Wettanbieter sind ein guter Schritt”, sagt er. “Aber sie müssen auch eingehalten werden.”
Der Experte hält dazu an, Sportwetten – wenn überhaupt – nur auf legalen Plattformen abzuschließen. “Um einer Sucht vorzubeugen, sollten Spielteilnehmer zumindest Grenzen einhalten.” Illegale Plattformen unterhielten oft besonders riskante Spielformen wie zum Beispiel Livewetten.
Spielsucht wird man nie wieder ganz los
Zudem rät Tichelmann dazu, ein bestimmtes monatliches Limit für den Wetteinsatz festzulegen und keine Kredite aufzunehmen. “Sie sollten außerdem nicht auf Sportarten setzen, in denen sie sich nicht auskennen.” Die Übergänge zur Sucht seien fließend, warnt er: “Oft kommen Menschen erst zu uns, wenn sie hohe finanzielle Verluste machen oder verschuldet sind.”
Die Caritas-Suchtberatung informiert Betroffene über Therapiemöglichkeiten. Von der Spielsucht komme man allerdings nie komplett weg, sagt Tichelmann. “Selbst nach einer Behandlung bleiben Betroffene gefährdet. Auch weil wir in der Werbung immer wieder mit Wettspielen konfrontiert werden.”