Eine Briefmarke mit dem krummbeinigen Hotzenplotz, Jubiläums-Sonderausgaben, neue Biografien und jede Menge Ausstellungen: Der 100. Geburtstag von Otfried Preußler (1923-2013) am 20. Oktober wird groß gefeiert. Er ist ein Superstar der Kinder- und Jugendliteratur, schuf die Geschichten vom Räuber Hotzenplotz und dem kleinen Wassermann, der kleinen Hexe und dem kleinen Gespenst, schrieb über den starken Wanja und Krabat. Rund 50 Millionen Mal wurden Preußlers Bücher seit den 1950er Jahren weltweit verkauft und in 55 Sprachen übersetzt.
Doch Starallüren waren dem Geschichtenerzähler, der 1923 im nordböhmischen Reichenberg (heute Liberec in Tschechien) zur Welt kam, zeitlebens fremd. Für ihn waren Kinder schlicht „das beste und klügste Publikum, das man sich wünschen kann“. Den Schriftsteller, der ab 1949 mit seiner Jugendliebe Annelies und drei Töchtern in der Nähe von Rosenheim in Bayern lebte, trieb der Wunsch an, Kindern ohne pädagogische Absichten eine „Spielwiese der Fantasie“ anzubieten. Mit der Option, neben der Unterhaltung in seinen Büchern auch Trost, Hoffnung, Ermutigung für ihr Leben zu finden. „Kinder brauchen Hoffnung“, schrieb er einmal, „ihr Optimismus bedarf der Bestätigung“.
Kriegserlebnisse prägten Preußlers Haltung
Diese Haltung entspringt auch Preußlers Erlebnissen als Soldat im Zweiten Weltkrieg. Kurz nach dem Abitur 1942 schickte das NS-Regime den 19-Jährigen, so wie alle jungen Männer seiner Zeit, in den Krieg. Zwei Jahre kämpfte er an der Ostfront, anfangs vom Glauben an einen „gerechten Krieg“ überzeugt. Im August 1944 ergab sich seine Truppe der russischen Übermacht.
Es folgten fünf Jahre sowjetischer Kriegsgefangenschaft mit ihrem Alltag aus Krankheit, Hunger und Elend. Auf Zementsackfetzen schrieb der junge Mann Erzählungen, Theaterstücke und Gedichte für seine Mitgefangenen. Inspiriert von den Kindheits-Erzählungen seines heimatkundigen Vaters und der böhmischen Großmutter erfand er Geschichten gegen Heimweh, Verzweiflung und Tod. „Damals habe ich erfahren, welche Kraft von Geschichten ausgehen kann, welche Überlebenskraft“, schrieb er 1985 in einem Essay.
Preußlers Helden sind Leitfiguren für Kinder
All die Kraft, die Preußler infolge dieser Erfahrung in seine Kinderbücher gelegt hat, stiftet noch heute Hoffnung und Zuversicht. Das jedenfalls erlebt Markus Löble, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie Christophsbad im württembergischen Göppingen. Preußlers Helden seien „Leitfiguren, an denen man sich orientieren kann“, sagt Löble. Er lade seine Patienten ein, sich beispielsweise den starken Wanja zum Vorbild zu nehmen, der nach Jahren der Verweigerung seine Prüfungen besteht. Oder die kleine Hexe, die von den Alten nicht respektiert wird und sich dennoch behauptet – auf ihre ganz eigene Weise.

„Kinder sehen dabei: Es gibt noch andere wie mich, ich bin nicht allein“, erläutert Löble den Effekt. Dieser Hoffnungsschimmer sei bei vielen seelischen und psychischen Erkrankungen die halbe Miete. „Ohne Hoffnung“, sagt der Arzt, „ist alles nichts“.
Kritik aus der antiautoritären Bewegung der 70er Jahre
In den 1970er-Jahren sah sich Otfried Preußler Anfeindungen aus der antiautoritären Bewegung ausgesetzt. Seine Bücher seien märchenhafter Kitsch, altmodisch und wirklichkeitsfremd. Den Autor traf das ins Mark, doch er blieb sich treu. Er sei nicht bereit, Kinder mit Problemen zu ängstigen, „um deren Lösung gefälligst wir, die Erwachsenen, uns zu bemühen haben“, schreibt er in einem Aufsatz von 1988.
Seinem Erfolg tat die Kritik keinen Abbruch, was sich auch an der Liste der Auszeichnungen ablesen lässt: Allein sein Jugendroman Krabat, in dem er auch die Kriegsjahre seiner Jugend literarisch verarbeitete, erhielt unter anderem den Deutschen und den Europäischen Jugendbuchpreis; für sein literarisches Wirken kamen später Würdigungen wie der Eichendorff-Literaturpreis und das Bundesverdienstkreuz hinzu. Die liebste Auszeichnung des Geschichtenerzählers, so heißt es auf der offiziellen Preußler-Homepage, sei allerdings der „Goldene Marmeladendeckel“ der Lese-Raben gewesen, einer Kindergruppe aus Brannenburg im Inntal.