“Serbe, Kroate, Bosniake – wer dein Gegenüber ist, merkst du am Anfang gar nicht”, erzählt ein Passant in der bosnischen Hauptstadt Sarajevo. Man spreche dieselbe Sprache, höre gleiche Musik, sehe gleich aus. Mit seiner osmanisch-habsburgischen Architektur, seinen Moscheen und Kirchen, religiösen und ethnischen Minderheiten könnte Bosnien-Herzegowina das Vielvölker-Eldorado Europas sein. Doch die Politik zieht tiefe Risse durch das Land, wie jetzt eine geplante UN-Resolution zeigt.
Das Massaker von Srebrenica im Jahr 1995 gilt als tragischer Höhepunkt des Bosnienkriegs (1992-1995). Binnen weniger Tage hatte die Armee der Republika Srpska bei der Stadt Srebrenica mehr als 8.000 muslimische Bosniaken ermordet. Heute ist Bosnien zu fast gleichen Teilen in zwei “Entitäten” gespalten: die serbische Teilrepublik und eine kroatisch-bosnische.
Srebrenica: Armee trennte Frauen, Kinder und Männer
“Als die Armee der Republika Srpska einmarschierte, trennte sie Frauen, Kinder und Männer. Die ersten beiden wurden mit Bussen in eine freie Zone gebracht, die Männer ermordet. Bis heute suchen ihre Familien nach den Leichen”, erzählt Belma Zulic. Die Historikerin arbeitet am Museum der Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Genozid in Sarajevo. Mit “Weisung Nummer 7” habe der damalige Präsident der Republika Srpska, Radovan Karadzic, den Befehl an seine Armee zur ethnischen Säuberung gegeben. “Dieses Dokument beweist, dass in Srebrenica ein Völkermord stattfand.” Allerdings sehen das nicht alle so.
Bereits diese Woche sollten die UN-Vertreter über eine Resolution abstimmen, die einen internationalen Gedenktag für die Srebrenica-Opfer ins Leben rufen würde. Auf Druck Serbiens und seiner Verbündeten China und Russland wurde die Abstimmung vertagt. “Wozu soll das gut sein – um Serbien abzuschaffen?”, fragt der serbische Staatschef Aleksandar Vucic. Er und sein Vertrauter, der bosnische Serben-Führer Milorad Dodik, fürchten durch die Resolution eine Verurteilung der Serben als Kollektivtäter. Dodik drohte mit der Abspaltung, sollte die Resolution wie erwartet in den kommenden Wochen angenommen werden: “Wir sehen keinen Grund, weshalb die Republika Srpska Teil von Bosnien und Herzegowina bleiben sollte.”
Museumskuratorin Zulic bringt das Problem auf den Punkt: “Es herrschen verschiedene Versionen über etwas, was eine historische Tatsache ist.” Viele Serben leugnen, dass es einen Völkermord gab; wer widerspricht, wird häufig als “Verräter” abgestempelt. Das verurteilt auch der Hohe UN-Repräsentant für Bosnien, der Deutsche Christian Schmidt (CSU): “Es herrscht das abzulehnende Konzept von ‘Zwei Schulen unter einem Dach’. Auch wird Geschichte permanent instrumentalisiert für aktuelle politische Punkte.”
UN-Repräsentant erwidert Kritik
Das Amt des UN-Repräsentanten wurde 1995 durch das Dayton-Abkommen geschaffen, das den Bosnienkrieg beendete. Schmidt darf unter anderem Gesetze erlassen und Bosniens Regierende absetzen. In den letzten Monaten mehrten sich die Stimmen, die dem deutschen Ex-Minister übermäßiges Eingreifen in die Politik des Balkanlandes vorwerfen. Im Interview hält Schmidt seinen Kritikern entgegen: “Der Zerfall Jugoslawiens und die Entwicklungen der 90er Jahre stehen in einer historischen Situation, bei der unsere mitteleuropäischen Erfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg von Versöhnung, Diskussion und Wahrheitsfindung nur sehr beschränkt gelten. Das ist die Legitimation, die Dayton hat.” Es gehe nicht darum, der Demokratie entgegenzuwirken – sondern sie überhaupt zu ermöglichen.

Auch Adnan Huskic, Politologe in Sarajevo, wertet die Dayton-Verfassung als Erfolg. “Es hat 100.000 Tote gebraucht, bis wir so weit waren. Und auch wenn es viele kritische Stimmen zu Bosniens Funktionsweise gibt, ist sie das Resultat eines äußerst blutigen Krieges und hat als solches ein respektables Maß an Langzeitstabilität geschaffen.”
Zugleich aber habe Dayton das Volksgruppen-Denken tief in Bosniens Gesellschaft eingraviert. Von politischer Seite würde diese Spaltung “täglich am Leben erhalten”, erzählt Huskic. Statt die Probleme der Menschen anzupacken, setzten Bosniens Politiker auf Volksgruppen-Populismus. Das gelte vor allem für Bosniens Enfant terrible Dodik. “Seine Republika Srpska ist ein wirtschaftlicher Scherbenhaufen und nimmt immer mehr Schulden auf.”