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Blutrote Kunst

Verstörende Arbeiten von Anish Kapoor im Skulpturenpark Waldfrieden

Der Bildhauer Anish Kapoor ist vor allem für seine monumentalen Skulpturen bekannt. Der Skulpturenpark  Waldfrieden zeigt aktuelle Arbeiten, die auf andere Weise irritieren.

Wuppertal (epd). Beim ersten Anschauen hat man den Eindruck, in der Kulisse eines Splatterfilms gelandet zu sein – und auch Norman Bates entsetzter Aufschrei aus «Psycho» passt nicht schlecht: «Mein Gott Mutter, überall Blut!» Doch wir sind in keinem Film, sondern im Skulpturenpark Waldfrieden in Wuppertal, und das vermeintliche Blut ist nur die an den roten Lebenssaft erinnernde Hauptfarbe von fünf
Skulpturen des indisch-britischen Bildhauers Anish Kapoor, die bis zum Jahresende in einer der gläsernen Ausstellungshallen zu sehen sind.

   Fünf verstörende Skulpturen, die Assoziationen an rohes Fleisch, Gedärm und damit an Leid, Schrecken und auch Krieg wecken. Kapoor, der zu den einflussreichsten Bildhauern der Gegenwart zählt, hat sie auf Anfrage seines Freundes und Kollegen Tony Cragg zur öffentlichen Premiere an dessen waldumsäumten Park geschickt.

   Ein Kommentar zum Ukraine-Krieg drängt sich da natürlich auf, doch Kapoor, der zur Vorab-Präsentation am Donnerstag per Video aus Venedig zugeschaltet ist, lässt diese Frage nach der Absicht seiner Kunst erwartungsgemäß offen – mit der vieldeutigen Antwort: «Rot ist die Farbe der Erde.» Schließlich liegen Kunst und ihre Interpretation bekanntlich im Auge des Betrachters.

   Tony Cragg wird immerhin deutlicher, wenn er von «nicht sehr ästhetischen Arbeiten» spricht und darauf verweist, dass Kunst durchaus politisch ist und Ästhetik oder Schönheit nur ein Teil der vielen, eben auch unappetitlichen Facetten des modernen Lebens sind. Kapoors neue Arbeiten seien «hart und dramatisch mit einer
Bildsprache, die sehr fordernd ist», macht er klar – und fügt schmunzelnd hinzu, er habe die Werke vorher gar nicht gesehen und dass es nicht die Ausstellung mit Kapoor-Werken sei, die er im Kopf gehabt habe.

   So gesehen überrascht Kapoor mit diesen Arbeiten erneut und stellt unter Beweis, warum er zu den einflussreichsten Bildhauern der Gegenwart gezählt wird. Seine Arbeiten sind an vielen Orten der Welt fest installiert, so zum Beispiel im Museum Pinakothek der Moderne in München, dem Guggenheim-Museum in Bilbao oder dem Israel-Museum in Jerusalem.

   Von Kapoor stammt auch der Entwurf für den ArcelorMittal Orbit, eine 115 Meter hohe Skulptur für die Olympischen Spiele 2012 in London. Die Konstruktion besteht aus ineinander verdrehten Stahlstreben und erinnert an die Form einer orientalischen
Wasserpfeife. Kapoor ist vor allem mit solchen Monumentalskulpturen bekannt geworden, die durch ihre schiere Größe überwältigen und damit auch die Grenze zwischen Bildhauerei und Architektur verwischen. Häufig irritieren diese Werke mit «eingebauten» Lichtreflexionen oder absorbierenden Oberflächen die Wahrnehmung. Natürlich darf ein solches Exemplar deshalb in Wuppertal nicht fehlen.

   Nach ein paar Metern im lauschigen Wald oberhalb der Ausstellungshalle trifft man auf die begehbare Großskulptur aus dem Jahr 2015 mit dem Titel «Sectional Body preparing for Monadic Singularity» («Profilkörper, der sich auf monadische Singularität
vorbereitet»), der auch übersetzt nicht weniger rätselhaft wird. Auch hier dominiert wieder die Farbe Rot, aber der Schreck bleibt aus.

   Die Skulptur war bereits im Garten von Schloss Versailles zu sehen und erinnert von innen ein wenig an einen Trichter oder auch einen überdimensionierten Gehörgang. Das Begehen dieser Skulptur ist übrigens ungefährlich, was nicht immer die Regel ist. Im Jahr 2018 verletzte sich ein Ausstellungsbesucher im portugiesischen Serralves-Museum, als er in ein tiefes Loch der Installation «Descent
into Limbo» («Abstieg in die Vorhölle») stürzte – er hatte geglaubt, bei dem Loch in der Mitte eines Betonwürfels handele es sich um eine optische Täuschung.