Der Flüchtlingsbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), der Berliner Bischof Christian Stäblein, hat den Bruch eines Kirchenasyls durch die Polizei am Mittwoch in Schwerin scharf kritisiert. Der Abschiebeversuch aus einem Kirchenasyl heraus sei „völlig inakzeptabel“ gewesen, erklärte Stäblein am Freitag in Hannover. Das Kieler Integrationsministerium bestätigte unterdessen auf Anfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd), dass die Landeshauptstadt Kiel als zuständige Zuwanderungsbehörde am Donnerstag das Amtshilfeersuchen zur Rückführung der Familie zurückgezogen habe. Damit sei die geplante Abschiebung vorerst ausgesetzt.
Die Polizei in Schwerin hatte wegen eines Amtshilfegesuchs aus Kiel ein bestehendes Kirchenasyl in der evangelischen Petrusgemeinde in Schwerin gebrochen, um zwei erwachsene Söhne einer sechsköpfigen afghanischen Familie nach Spanien abzuschieben. Die Abschiebung scheiterte, weil sowohl die Mutter als auch einer der Söhne sich in einem psychischen Ausnahmezustand befanden.
„Das Kirchenasyl ist ein Schutzraum für besonders schutzbedürftige, oft traumatisierte Menschen“, sagte Stäblein. Der Einsatz zeige in bedrückender Weise, mit welchen brachialen Mitteln die Behörden gegen Schutzsuchende vorzugehen bereit sind.
Nach Angaben der Flüchtlingsbeauftragten der evangelischen Nordkirche, Dietlind Jochims, handelt es sich bei der Mutter um eine bekannte Frauenrechtlerin und Journalistin, die in ihrer Heimat nach der Machtübernahme der Taliban im August 2021 bedroht worden war. Über das Aufnahmeprogramm für Afghanistan des Bundesinnenministeriums und des Auswärtigen Amtes war der Familie zunächst eine Aufnahme in Deutschland zugesichert worden. Die Visumserteilung verzögerte sich laut Jochims aber massiv.
Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen aus Nordrhein-Westfalen (NRW) warnten vor einer „neuen Eskalationsstufe“ im Umgang mit Schutzsuchenden. Der Bruch des Kirchenasyls in Schwerin setze „das Kirchenasyl bundesweit und auch in Nordrhein-Westfalen unter Druck“, teilten das Ökumenische Netzwerk Asyl in der Kirche NRW und Abschiebungsreporting NRW in Köln mit.
Nach früheren Polizeiangaben brach die Polizei wegen einer Gefährdungslage das Kirchenasyl. Aus der Wohnung sei ein Klirren zu hören gewesen, daraufhin seien Beamte in die Räume in der Ziolkowskistraße eingedrungen. Der 22-jährige Sohn soll sich mutmaßlich selbst verletzt haben. Die 47-jährige Mutter soll durch Androhung von Gewalt gegen sich und ihre Kinder versucht haben, die polizeilichen Maßnahmen zu vereiteln. Gegen die Mutter seien Strafverfahren wegen Bedrohung und Nötigung eingeleitet worden.
Nach Angaben der Stadt Kiel war die Familie über Spanien am 15. Mai 2023 nach Deutschland eingereist und stellte Asylanträge. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) habe entsprechend der Dublin III-Verordnung Überstellungen für alle Familienmitglieder nach Spanien entschieden, so die Stadt Kiel. Auf die Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise sei hingewiesen worden, Zusagen Spaniens für die Wiederaufnahme aller Familienmitglieder lägen vor.
Nach Aktenlage der Stadt Kiel sei das zwischen Bundesinnenministerium und Kirchen vereinbarte Verfahren zum „Kirchenasyl“ durchgeführt worden. Das Dossier der Kirche sei am 1. Dezember beim Bamf gestellt und am 13. Dezember vom Bamf abgelehnt worden. Die Rückführung zweier Familienangehöriger sei gegenüber der Familie am 14. Dezember angekündigt worden. Die Familie sei daraufhin am 15. Dezember nach Schwerin gereist.
Der Staat toleriert das Kirchenasyl, bei dem Kirchengemeinden Geflüchteten Wohnraum bieten und sie versorgen, obwohl er grundsätzlich von seinem Zugriffsrecht Gebrauch machen und abschieben kann. Um gemeinsam zu guten humanitären Lösungen kommen zu können, wurde 2015 eine Verfahrensabsprache zwischen dem Bamf und den Kirchen getroffen.