Die Ausleihe von E-Books in Bibliotheken hat erhebliche finanzielle Folgen für Autoren, Verlage und Buchhandel. Seit Jahren gibt es deshalb Streit. Jetzt scheint ein Kompromiss gefunden.
Ist der Knoten geplatzt? Nutzer der bundesweit über 8.000 Bibliotheken in Deutschland sollen künftig leichteren Zugang zu elektronischen Büchern erhalten. Ein Runder Tisch, von Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) einberufen, veröffentlichte am Mittwoch Empfehlungen, um den Jahre währenden Streit über die Ausleihe von E-Books in öffentlichen Bibliotheken zu beenden.
Die Lage war verfahren: Einerseits greifen mittlerweile 40 Prozent der Deutschen wenigstens gelegentlich zum elektronischen Buch, wie eine Umfrage des Digitalwirtschafts-Verbandes Bitkom kürzlich ergab. 16 Prozent lesen sogar ausschließlich oder überwiegend E-Books. E-Book-Ausgaben gehören mittlerweile zum guten Ton in den Verlagen – und auch in Bibliotheken. Dort geht mittlerweile jedes zehnte ausgeliehene Buch in elektronischer Form an die Nutzer.
Das führt zu Konflikten: Verlage und Handel sprechen von einer “Kannibalisierung des Buchmarkts”, weil viele “Onleihe”-Nutzer weniger oder gar keine Bücher mehr kauften, seitdem sie bei ihrer Bibliothek E-Books ausleihen könnten. E-Books werden bei der Leihe intensiver genutzt als gedruckte Bücher.
Die Bibliotheken argumentieren demgegenüber mit dem Gemeinwohl: Der digitale Zugang zu Medien sei wichtig, damit sie ihren öffentlichen Auftrag zur Informationsvermittlung erfüllen könnten. Der Deutsche Bibliotheksverband (DBV) fordert für E-Books dasselbe Verleihrecht wie für Print-Bücher. Ab dem Tag der Veröffentlichung sollen E-Books für Bibliotheken zugänglich sein.
Derzeit ist das keineswegs so: Es gibt deutliche Beschränkungen. Wenn Bibliotheken E-Books verleihen, werden die Werke auf den Computer der Nutzer geladen und mit technischen Schutzmaßnahmen versehen. Nach Ablauf der Leihfrist wird die Datei unbrauchbar gemacht, erst danach kann der nächste Nutzer das E-Book ausleihen.
Außerdem können Bibliotheksnutzer nur die E-Book-Titel ausleihen, für die es Verträge mit den Verlagen gibt. Manche Autoren und Verlage stellen ihre Werke nicht zur E-Book-Ausleihe zur Verfügung, weil sie wirtschaftliche Nachteile befürchten. Manche Neuerscheinungen, insbesondere Bestseller, sind erst mit einigen Monaten Verzögerung in der Ausleihe – weil Verlage und Autoren zunächst einen Verkauf ihrer Werke anstreben.
Eine im September veröffentlichte und von Roth in Auftrag gegebene Studie kam zu dem Ergebnis, dass diese Beschränkungen zu erheblich höheren Verkaufszahlen und -erlösen von gedruckten Büchern und E-Books führen. Würde man diese Beschränkungen aufheben, würden Verlage, Autoren und Buchhandel zwischen 37 Millionen und 152 Millionen Euro pro Jahr weniger einnehmen.
Dass eine Lösung des Konflikts angesichts dieser Summen schwierig würde, war abzusehen. Der Runde Tisch hat sich deshalb auch nur auf eine Test-Lösung mit Pilotprojekten verständigt.
Das Gremium, dem Vertreter des Buchhandels, der Autoren und der Bibliotheken angehörten, schlägt vor, dass die Bibliotheken mit den Verlagen spezielle Verträge aushandeln. Sollten E-Books früher als bisher zur Verfügung gestellt werden, wird empfohlen, dies bei den Lizenzverhandlungen finanziell zu berücksichtigen.
Roth begrüßte die Empfehlungen. “Gemeinsam haben wir es geschafft, Bewegung in die seit Jahren festgefahrene Debatte zu bringen.” Ihre Erwartung sei, dass nun auf dieser Basis im Rahmen von Pilotprojekten Lizenzmodelle entwickelt und erprobt würden.
Der Bundesvorsitzende des Deutschen Bibliotheksverbandes, Volker Heller, erklärte, eine allgemeinverbindliche rechtliche Regelung sei nicht durchsetzbar gewesen. Durch die am Runden Tisch vereinbarten Pilotprojekte erhoffe er sich, dass “Bibliotheken einen verlässlichen Zugang zu Veröffentlichungen ab dem ersten Publikationstag erhalten”.