Von Petra Bahr
1. Vergesst die Kirche! Stellt Euch das Christentum wieder als eine Bewegung vor, eine Gottesvolkbewegung auf einem gemeinsamen Weg. Hier preschen einige vor, andere halten Abstand, manche schlurfen, wieder andere treten sich auf die Füße. Nur zuschauen gilt nicht. Kritik an der Organisation – an Kirchenparlamenten, Kirchenverwaltung, Kirchenrepräsentanten – ist wichtig. Doch die stete Forderung, was „die Kirche“ zu tun und zu lassen habe, darf keine Ausrede dafür sein, sich selbst nicht zu rühren.2. Macht Platz für das Evangelium! Reformation ist eine Aufräumaktion. Denn in der Kirche sammelt sich schnell Gerümpel an. Gummibäume in der Sakristei und jede Menge geistige Überbleibsel: Gedankenträgheit, Besitzstandswahrung, Ausreden nach dem Motto „Das haben wir schon immer so gemacht“. Weil man immer wieder neu aufräumen muss, ist die Reformation eine Aufgabe und kein historisches Datum. Ecclesia semper reformanda. Der Funke der Erneuerung des Christentums, um die es Martin Luther ging, entzündet sich an der Deutung des christlichen Glaubens. Um sie müssen wir ringen und nicht darum, wie „zeitgemäß“ Kirche ist. Die Richtung dieser großen geistlichen Aufräumaktion ist in dem Wort „Buße“ vorgegeben. Buße heißt Umkehr zum Wesentlichen.3. Habt Mut zur Theologie! Lassen wir das religiöse Geraune. Mit Floskeln verraten wir den reformatorischen Impuls genauso wie durch die verschwurbelte Forderung nach mehr „auratischen Räumen“, nach „Orten des Unverfügbaren“ oder nach der „Inszenierung des Göttlichen“, wie die Religionsästhetiker in den Feuilletons das gern nennen. Mit solchen Worten werben auch Krankenkassen. Es ist an der Zeit, die theologischen Gehalte des Christentums neu zu entdecken. Wie kann man heute von Sünde reden? Wird es nicht Zeit, das Jüngste Gericht mal wieder gegenüber all den medialen Weltgerichten in Stellung zu bringen? Wie können wir im grassierenden Gesundheitswahn von Heil reden? Theologie ist Unterscheidungswissen. Sie hilft, die Welt und sich selbst anders zu sehen.4. Redet Klartext! Klar und deutlich soll die Sprache der Christinnen und Christen sein, fordert die Reformation. Deshalb hat Luther „dem Volk aufs Maul geschaut“, als er die Bibel übersetzte. Heute ist der Kirchensound für viele das neue Latein. Wir hören es in öffentlichen Verlautbarungen genauso wie in Predigten, die sich hinter Klischees verstecken. Gottes Wort hautnah und packend? Fragen wir doch die frechen Dichter und die skrupulösen Übersetzer um Rat. Wir brauchen neue Versuche, den Glauben auszulegen. Das heißt nicht, dass wir das Weltkulturerbe der alten Texte geringschätzen. Aber die alten Bekenntnisse, Texte und Lieder sind keine Goldschnittklassiker. Sie sollen Überlebenstexte bleiben.
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