Noch bis zum 21. April können die SPD-Mitglieder über den Koalitionsvertrag von CDU und SPD abstimmen. Am 23. April wird das Ergebnis verkündet. Einen Tag darauf berät die CDU darüber. Kommt der Entwurf durch, könnte in Berlin ein verbindliches Wahlpflichtfach Religion an Schulen eingerichtet werden.
„Die Koalition strebt die Einführung eines Wahlpflichtfachs Weltanschauungen/Religionen als ordentliches Lehrfach an.“ Mit dieser Formulierung überraschten CDU und SPD im vorgestellten Koalitionsvertrag für Berlin – und nehmen mit diesem Schritt eine wichtige Weichenstellung für die Stadt in Aussicht. Das Fach Religion als Wahlmöglichkeit und gleichberechtigt verankert im Fächerkanon der Schule: das entspricht der Situation der „einzigartigen Vielfalt der Stadt“ auch im Feld der Religion und Weltanschauung. Diese Weichenstellung garantiert die „Möglichkeit in aller Freiheit“ (Bischof Stäblein), sich mit Religionen und Weltanschauungen intensiv auseinanderzusetzen – mit der eigenen wie mit jener der anderen. Sie bietet einen wesentlichen Beitrag zu einer „modernen Religionspolitik“ (Erzbistum Berlin). Weder religiöse Praktiken noch engagiert vorgetragene Weltanschauungen lassen sich auf den Bereich des Privaten und Familiären begrenzen. Religionsmündigkeit braucht Bildung. Deshalb braucht es im öffentlichen Raum der Schule ein ordentliches Angebot.
Kein Nice-to-have
In aufgeklärter religiöser Bildung liegt der Grund für eine differenzierte Wahrnehmungsfähigkeit religiöser Kräfte und Strömungen in unserer Stadt. Nur durch fachlich fundierte Auseinandersetzung ist ein sachkundiger Dialog zu Religion und Weltanschauung möglich. Religiöse Bildung ist kein privates nice to have, sondern gesellschaftliche Notwendigkeit im demokratischen Gemeinwesen.
Religionsunterricht unterstützt die Integration von Kindern und Jugendlichen unterschiedlicher kultureller und religiöser Herkunft und trägt zum Schulfrieden bei. Er ermöglicht die Begegnung mit religiösen Fragen auch für jene aus religionsfernen oder religionsvergessenen Familiensystemen, und hilft, Vorurteile abzubauen. Mit der Einführung eines entsprechenden Wahlpflichtbereichs bietet sich für das Land, für Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, für Schülerinnen und Schüler sowie deren Eltern eine Win-Win-Win-Situation.
Interesse an Grundfragen
Bemerkenswert ist doch, dass trotz seiner oft marginalisierungsträchtigen Rahmenbedingungen allein der evangelische Religionsunterricht im Land Berlin aktuell ganz unabhängig von der Entwicklung der Mitgliederzahlen 69000 – also knapp ein Fünftel aller! – Schülerinnen und Schüler erreicht. Damit wird deren Interesse an den Grundfragen des Lebens und dem Deutungsangebot der Religionen deutlich.
Es bleibt freilich zunächst abzuwarten, wie sich die politischen Gremien verhalten. Und es werden in der genauen Umsetzung der Formulierungen des Koalitionsvertrages weitere Klärungen folgen: Denkt die Absicht der Einführung eines „ordentlichen Lehrfachs“ eine Konsequenz für das Anstellungsverhältnis von Lehrkräften mit? Zielt sie darauf, das Fach ordentlich im Rahmen der Stundentafel zu verankern – und eben nicht nur in einer Randstundenlage? Soll das neue Wahlpflichtfach im Lernbereich Gesellschaftswissenschaften angeordnet werden? Ist an einen Wahlpflichtbereich Ethik-Religion-Weltanschauung gedacht, in dem auch längst bewährte Kooperationen gut erhalten bleiben und weitergeführt werden können?