Mit seinem neuen Programm “Todesduell” macht der Schauspieler Ben Becker sich selbst und dem Publikum ein Geschenk – passend zu seinem 60. Geburtstag.
“Man hat keine Zeit mehr für Müll. Man tut, was wichtig ist”, sagt der Schauspieler Ben Becker über das Älterwerden. Am 19. Dezember feiert er seinen 60. Geburtstag. Zurzeit ist er mit dem Programm “Todesduell” auf Tournee. Der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) hat er verraten, was es mit diesem Stoff auf sich hat und warum seine Kunst kantig bleiben wird.
KNA: Herr Becker, Sie sind mit dem Stück “Todesduell” auf Tournee. Der erste Teil besteht aus einem Predigttext des Dichters und Geistlichen John Donne (1572-1631), den dieser kurz vor seinem Tod in der Saint Paul’s Kathedrale in London gehalten hat. Dann folgt eine Elegie des Literaturnobelpreisträgers Joseph Brodsky auf Donne und wie er die Welt sah. Wie sind Sie auf diesen Stoff gekommen?
Becker: Der Predigttext kam bereits vor vielen Jahren in Salzburg bei den Festspielen auf mich zu, als ich den Tod gespielt habe. Der Oberspielleiter hatte sich das ausgedacht. Er meinte, ich sollte den Text bei der Eröffnung im Haus für Mozart interpretieren, was ich auch gemacht habe. Ich war total überfordert. Ich habe eigentlich nur gelesen, was dort steht. Obwohl ich auch schon etwas dazu inszeniert habe. Es war ein Sarg auf der Bühne. Am Ende habe ich meine Privatkleidung ausgezogen und bin nackt von der Bühne runtergegangen. Seitdem hat mich dieser Text nicht mehr losgelassen.
KNA: Wie erarbeitet man sich einen solchen dichten Stoff?
Becker: Der Text ist tatsächlich sehr schwer greifbar. Man begibt sich auf eine emotionale Suche. Dann beschäftigt man sich mit der Person John Donnes. Wer war das? Wie hat der sich geäußert? Ich denke, er war ein progressiver, humorvoller Mensch, der es sich zum Beispiel auch leisten konnte, den im Publikum sitzenden König Charles I. ein wenig zu provozieren. Man hatte Respekt vor ihm. Das hat mir geholfen, mit dieser doch sehr düsteren Predigt umzugehen. Man muss sich das vorstellen: Die Menschen sind damals zu Tausenden gekommen, um Donne predigen zu hören. Er konnte in dialektischer Weise Glaube, Wissenschaft und Literatur verbinden.
KNA: Was ist aus Ihrer Sicht Donnes Hauptbotschaft?
Becker: Wir sind alle gleich, also lasst uns den Egoismus ablegen und uns eingeben in das Rad der Schöpfung, ohne einen Keil dazwischenzuschieben, wie es die Menschen immer wieder machen. Eigentlich eine sehr normale Botschaft, wenn man sich aber umschaut, was gerade in der Welt so passiert, auch eine ziemlich revolutionäre. Mich fasziniert sie. Dazu kommen Bilder von fragiler Schönheit.
KNA: Sie haben bei “Todesduell” auch Regie geführt: Wie war die Erfahrung als Regisseur und Hauptdarsteller in Personalunion?
Becker: Ich kann nicht nur mit dem Text rauskommen, meine Lesungen sind ja immer szenisch. Da es um meine Fantasie geht, kann ich das niemand anderem überlassen. Ich muss bauen, was mir so einfällt. Schon als kleiner Junge habe ich gern Puppenhäuser gebaut oder Szenerien in Schuhkartons gesetzt. Das mache ich immer noch. Als ich zum ersten Mal in den Berliner Dom kam und den merkwürdigen Sarg in Form eines Teeträgers sah, habe ich gedacht: Unfassbar, die haben das wirklich gebaut. (lacht) Jede Aufführung ist ein Gesamtkunstwerk. Ich male Bilder – mit Worten, mit szenischen Details, mit Musik.
KNA: Es ist nicht das erste Mal, dass Sie sich mit einem christlichen Stoff beschäftigen. Mit Ihrem Programm “Ich, Judas” haben Sie weiterhin großen Erfolg. Woher kommt bei Ihnen die Faszination für Geschichten der Bibel? Wann hat das angefangen?
Becker: Ich hatte damals eine Band. Eines Tages bin ich zu denen hingegangen und habe gesagt: “Wir machen jetzt die Bibel!” Die haben gesagt: “Spinnst du?” Doch mir war klar, dass ich mich damit auseinandersetzen möchte. Wahrscheinlich, weil ich ahnte, dass in der Geschichte des Glaubens sehr existenzielle Fragen gestellt werden. Mittlerweile betrachte ich mich als christlichen Kommunisten. Ich glaube an die Schönheit der Schöpfung, die uns umgibt.
KNA: Wie ist Ihr Verhältnis zur Kirche?
Becker: Ich war als Vierjähriger in einem katholischen Kindergarten. Einmal gab es mittags Rotkohl. Auf dem Tisch stand auch ein Salzstreuer, mit dem ich mir den Rotkohl versalzen habe. Zur Strafe hat man mich mit dem versalzenen Rotkohl in den Schrank gesperrt und mir gesagt: Du kommst hier erst wieder raus, wenn Du aufgegessen hast. Als mein Vater davon gehört hat, hat er mich dort sofort abgemeldet. Im Laufe der Jahre bin ich jedoch einigen kirchlichen Vertretern begegnet, mit denen ich richtig gut reden und diskutieren konnte. Ich war auch schon öfter im Kloster – einmal sogar für längere Zeit.
KNA: Welche Bedeutung hat für Sie die Tatsache, dass bei Kirchen-Auftritten hinter Ihnen meistens ein Mann am Kreuz hängt?
Becker: Dieser Mann hat gekämpft. Er hat gekämpft und verloren. Ich mag ihn sehr. Er ist mein Freund, und wenn ich eine Kirche betrete, nehme ich aus Respekt vor ihm den Hut ab. Ich muss vor ihm nichts verbergen. Es macht mich wütend, was Menschen in seinem Namen derzeit anstellen … furchtbar. Wäre Jesus in einem Grab, er würde sich jetzt permanent umdrehen.
KNA: Bei der Premiere von “Todesduell” im Berliner Dom Anfang November gab es Standing Ovations. Sie wirkten danach erleichtert, sprachen von einem “Wagnis” …
Becker: Es ist ein Wagnis, sich mit so einem Text rauszutrauen. Es muss nur jemand beim zweiten Teil, der Elegie, ‘Ich schlaf’ auch gleich ein’ blöken, dann wird es gefährlich. Doch ich habe mir gesagt, wenn sowas passiert, bleibe ich einfach ruhig. Ich warte dann einfach, bis er gegangen ist. Mittlerweile weiß ich, dass “Todesduell” funktioniert. Es bereitet mir große Freude.
KNA: Sie und John Donne muten dem Publikum einiges zu. Bei manchen heutigen Predigern hat man oft den Eindruck, sie wollen gefällig sein. Nervt Sie das?
Becker: Ich höre und sehe, wenn ein Prediger nicht ehrlich ist. Ich glaube, ich wäre ein guter Prediger, aber ohne Theologiestudium müsste ich eine Freikirche gründen. Finanziell sicher lukrativ, aber ich predige lieber, indem ich Joseph Roth und andere Literaten lese.
KNA: Man verbindet mit Ihnen Lebenslust und Abenteuer. Mitte Dezember werden Sie 60 Jahre alt. Wie werden Sie das feiern?
Becker: Das weiß ich noch gar nicht so richtig. Vielleicht mache ich mit meiner Tochter und Freunden einen Hubschrauber-Rundflug um den Fernsehturm am Alexanderplatz, und anschließend gibt’s Kaffee und Kuchen.
KNA: Früher wären Sie vom Hubschrauber auf den Turm runtergesprungen.
Becker: Ja, früher hätte ich das gemacht. Jetzt habe ich auf so etwas keine Lust mehr. Ich muss auch nicht, wie zu meinem 50. Geburtstag, nach Indonesien reisen, um in einem hässlichen Hotel ohne Minibar zu sitzen. Das größte Geschenk, was ich mir jetzt gemacht habe, ist “Todesduell”.
KNA: Ein Geschenk mit Vergänglichkeitstönen. Fürchten Sie, dass das Abenteuer Leben bald vorbei sein könnte?
Becker: Natürlich denke ich nach dem Tod von Freunden und meinem Papa intensiver an den Tod. Wenn man 60 wird, sagt man sich: 20 Jahre noch und rechnet dann 20 Jahre zurück und stellt fest, wie schnell die Zeit vergangen ist. Der Vorteil ist: Man hat keine Zeit mehr für Müll. Man tut, was wichtig ist. Ich möchte noch viele Geschichten erzählen und habe mir den Traum verwirklicht, aufs Land zu ziehen. Dort kann ich basteln, spazieren gehen und jemand einladen, wenn ich will. Meine Kunst wird trotzdem kantig bleiben.
KNA: John Donne glaubte an die Auferstehung. Ist das für Sie eine realistische Hoffnung?
Becker: Nein, denn dann wäre der Tod unnötig. Ich glaube, dass ich mit dem Tod in die Existenzweise hinübertrete, aus der ich gekommen bin. Vielleicht komme ich ja als Gänseblümchen wieder.