Hitler und die Nazis waren 1945 nicht einfach in der Versenkung verschwunden. Ihr Erbe beschäftigte und bedrängte auch die nachfolgenden Generationen. Bis heute, wie eine Ausstellung im Bonner Haus der Geschichte zeigt.
“Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch”, warnte Bertolt Brecht mit Blick auf den Nationalsozialismus. Seit 80 Jahren setzen sich die Deutschen mit dem Erbe Hitlers und der Hypothek auseinander, die seine Diktatur dem Land auferlegt hat. Wie unterschiedlich die verschiedenen Generationen seit 1945 mit der NS-Zeit umgegangen sind, beleuchtet seit Dienstag eine neue Sonderausstellung unter dem Titel “Nach Hitler” im Bonner Haus der Geschichte.
Verdrängung oder Auseinandersetzung, Betroffenheit oder Gleichgültigkeit, Sympathie und Verherrlichung: Björn Höckes Rede vom Holocaust-Mahnmal als “Denkmal der Schande” und Alexander Gaulands Verharmlosung der NS-Zeit als “Vogelschiss” in der deutschen Geschichte zeigen, dass diese Vergangenheit noch nicht vergangen ist. Vor dem Hintergrund der hohen Umfragewerte für die AfD, dem Potsdamer Treffen der rechten Szene sowie rechtsradikalen Terrorgruppen und zunehmenden antisemitischen Straftaten ist die schon seit längerem geplante Ausstellung von brennender Aktualität.
Die Ausstellungsmacher haben sich für einen “generationellen Zugang” entschieden. Sie wollen zeigen, wie unterschiedlich die vier Generationen seit 1945 auf die NS-Zeit blicken: vom vermeintlichen “kollektiven Verschweigen” der Erlebnisgeneration über das In-Frage-Stellen der Kinder-, das polarisierende Urteil der Enkelgeneration bis zur aktuellen Nach-Wende-Generation, die kaum noch auf Zeitzeugen trifft und neue Formen der Erinnerung entwickeln muss.
Verbunden wird diese Perspektive mit zentralen Ereignissen in der Geschichte der Bundesrepublik und der DDR: etwa die zunächst durch die Siegermächte vorangetriebene Entnazifizierung, der “antifaschistische” Gründungsmythos der DDR, die Auschwitz-Prozesse Anfang der 60er Jahre, die 1979 gezeigte TV-Serie “Holocaust”, die 1995 heftig diskutierte Wehrmachtsausstellung und das 2005 eröffnete Denkmal für die ermordeten Juden Europas. Sie alle zeigen, wie stark die Spannungen zwischen den Generationen – etwa der zwischen Erlebnisgeneration und den 68ern – die deutsche Gesellschaft geprägt haben.
Der Präsident der Stiftung Haus der Geschichte, Harald Biermann, verwies vor Journalisten auf über 500 “überragende Objekte”, die bis 25. Januar 2026 zu sehen sind. Darunter auch Kurioses wie ein Exemplar der gefälschten Hitler-Tagebücher oder ein weihnachtlicher Lichterbogen, mit dem ein Rechtsextremist aus Chemnitz 2019 das Vernichtungslager Auschwitz darstellte und sein Fenster dekorierte.
Viele der Objekte sind klein und unscheinbar, doch sie laden zum Nachdenken ein: Etwa die erste Briefmarke zu Ehren der Geschwister Scholl – die die DDR und nicht die Bundesrepublik herausgab. Auch die bräunliche Fahrkarte, mit der Erna Meintrup 1945 aus dem KZ Theresienstadt ins heimatliche Münster reisen konnte. “Was war überhaupt noch ihr Zuhause?”, fragt Ausstellungsmacher Hanno Sowade.
Zu sehen ist auch die erste offiziell von der NSDAP genehmigte Führer-Büste – ein Werk der Bildhauerin Hedwig Maria Ley von 1932. Und ein Verkaufsschlager bis 1945. Kurz vor Kriegsende vergrub Ley das Original im Garten. Doch Hitler blieb nicht verschwunden: Einer ihrer Gärtner grub sie aus und stellte sie bis in weit in die 1980er Jahre auf den Kaminsims in seinem Wohnzimmer. Für Biermann ein Beleg “für das Nachwirken der Führerverehrung”.
“Wir wollten nicht die große Politik beschreiben, sondern sind von den konkreten Erfahrungen der Menschen ausgegangen”, unterstreicht Historiker Sowade das Konzept der Ausstellung. “Wir möchten die Besucher dazu ermuntern, in ihren eigenen Familien nachzufragen, wie sie mit dem Nationalsozialismus umgegangen sind.”
Hinweise über die Haltung der Deutschen geben Umfragen, die mehrfach in die Ausstellung eingeflochten werden. So galten bis Anfang der 1960er Jahre die Hitler-Attentäter des 20. Juli 1944 als “Landesverräter”. Und bis in die 60er Jahre bezeichnete eine Mehrheit die “Friedensjahre unter dem Führer” als die beste Zeit im 20. Jahrhundert.
Wie sehr die NS-Zeit auch heute noch prägt, verdeutlicht das letzte Exponat des Rundgangs: Im August 2023 ging in Berlin nahe dem Holocaust-Denkmal “Gleis 17” eine zur Bücherbox umgebaute Telefonzelle mit einer Hörstation in Flammen auf. Angezündet hatte sie ein 63 Jahre alter Mann, der die darin stehenden Werke vernichten wollte – Bücher über den Holocaust.