Eine Person mit einer kürbisgroßen Mickymaus-Maske auf dem Kopf tänzelt vor dem im Abendrot still ruhenden Genfer See. Auf dem Foto daneben sitzt der Mensch, der zu irgendeiner Werbung angeheuert worden war, am Ufer. Unter der Fotografie des Künstlers Lars Eidinger steht, in Bleistift auf die Wand geschrieben: „Abendlicher Stand/Bärenarbeit ist getan/ Wer bin ich als Mensch?“ Der Text im Stil japanischer Haikus stammt von der Dichterin Yoko Tawada.
Einige der etwa 100 Fotografien des Schauspielers Lars Eidinger, die ab Samstag bis zum 26. Januar in der Ausstellung in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen K21 in Düsseldorf zu sehen sind, werden mit solchen Gedichten ergänzt. „Ich möchte Betrachterinnen und Betrachter anregen, sich selbst zu fragen, wer sie sind“, sagte Eidinger am Donnerstag vor dem Start seiner ersten Schau in einem Museum. Auf diese Absicht deutet auch der Titel der Schau hin: „O Mensch“ ist ein Zitat aus einem Gedicht des Philosophen Friedrich Nietzsche.
Als Schauspieler bezeichnet Eidinger Shakespeares Hamlet als seine wichtigste Rolle. Ähnlich wie Hamlet mit ausgestreckten Armen den Totenschädel betrachte, gehe es bei der Betrachtung der Fotos um die Frage: „Wer sind wir?“ „Ich möchte spiegeln und reflektieren“, erklärte der Künstler. Deshalb gefalle ihm das Wort „Spiegelreflexkamera“, auch wenn er die meisten seiner Fotos mit dem „Telefon, mit dem ich fotografiere“, aufgenommen habe. Den Begriff Smartphone hält Eidinger für unpassend: „Ich finde es überhaupt nicht smart, sondern ein Instrument der Verdummung.“
Die meisten Bilder zeigen Szenen aus dem städtischen Leben. Es scheint, als sei er mit Entdeckerfreude auf der Suche nach skurrilen Verbindungen oder seltsamen Farbzusammenstellungen durch Großstädte in Deutschland, Asien oder Amerika gezogen. Die Deutung weist er aber von sich. „Wenn die Betrachterinnen oder Betrachter einen Witz darin sehen, ist das ihre Sache – ich hatte es nicht beabsichtigt“, sagt Eidinger.
Da ist der Obdachlose, den Kopf auf eine orangefarbene Plastiktüte gebettet, unmittelbar neben den Beinen eines Paares, das die Juwelen im Schaufenster über dem Mann interessiert betrachtet. Ein anderer vermutlich Obdachloser steckt in einem petrolgrün-rot-gestreiften Schlafsack, platziert unmittelbar unter einem Werbeplakat für ein petrolgrünes Sofa, neben dem eine Frau im roten Pullover Platz genommen hat. Unabsichtliche Verbindungen, schnell entdeckt.
Museumsdirektorin Susanne Gaensheimer sieht darin vor allem „wie der Charme einer Situation in Tristesse kippen kann“. Eidingers Bilder zeigten den „dystopischen Zustand der Welt“, seien gar „ein Abgesang auf die Menschheit“. Auswüchse der Überflussgesellschaft zeigt er etwa im Bild von dem kleinen Hund in einem Rollstuhl mitten in einem Supermarkt, der gelangweilt auf eine Tüte Hundefutter starrt.
Kunsthistorisch sieht sich Eidinger in der Tradition des „Readymade“, das einen bereits bestehenden Gegenstand zum Kunstobjekt erklärt. Impulsgeber für die Wahl seiner Bilder sei das Unterbewusstsein. Er frage sich manchmal selbst, warum ihn manche Szenen interessierten und reizten, auf den Auslöser zu drücken. Das Fotografieren mit dem Telefon, wie er es nennt, komme ihm entgegen, weil er sich selbst am kreativsten finde, wenn er sich spontan einem Moment aussetzen könnte. „Dann kann ich darauf vertrauen, dass die Motive zu mir kommen“, sagt er.
In der Schau sind aber auch einige gezielter fotografierte Bilder zu sehen, etwa ein schwarzer Schwan auf einem See. Wenige weiße Federn und ein weißer Fleck auf dem roten Schnabel machen aus dem Tier auch ein Kunstobjekt. „Im Wort Schwan schwimmen/ Sch von Schwan und w von Weiß/ Rar ist seine Nacht“ heißt es im dazu gehörenden Gedicht von Yoko Tawada.
Im Begleitprogramm zu der Ausstellung bietet die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen unter anderem einen Kreativtag für Kinder am 6. Oktober sowie ein Künstlergespräch mit Lars Eidinger am 27. November an.