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Auf den Spuren von Europas Müll im ghanaischen Accra

“Europas größte Schrotthalde” wird ein Stadtteil von Ghanas Hauptstadt Accra genannt. Kinder spielen hier zwischen Plastikmüll und Motorenteilen. Ein Hilfsprojekt holt wenigstens einige tagsüber aus dieser Hölle heraus.

Yaro ist zurück in der Hölle von Agbogbloshie, der weltweit größten illegalen Müllhalde inmitten von Ghanas Hauptstadt Accra. Eigentlich hatte er mit seiner jungen Familie schon den Absprung geschafft und Arbeit im Norden Ghanas gefunden, aber die dortige Recyclingfirma meldete Konkurs an. So stand er wieder ohne Job da. Um seiner Tochter die Schule zu finanzieren, braucht Yaro Geld. Geld, das er hofft, auf jener Müllkippe verdienen zu können, die als “Europas größte Elektroschrotthalde” bekannt ist.

Gemeinsam mit seinem Freund Mohamed hat Yaro es auf den Rohstoff Kupfer abgesehen: An guten Tagen können die beiden mit dem begehrten Metall bis zu 80 Cedis verdienen – rund fünf Euro. Dafür setzt er hier seine Gesundheit aufs Spiel.

Schätzungsweise 6.000 bis 8.000 Menschen arbeiten im Müll, rund 150.000 leben hier im Viertel, kaum ein Kind geht zur Schule. Keine Straßenschilder weisen die Richtung durch die staubigen Wege und engen Gassen zwischen den illegalen Hütten aus Holz, Lehm und zweigeschossigen Häusern aus billigen Mauersteinen. In der Luft liegt ein Duftmix aus rußigem Altöl, verfaulten Essensresten, verbranntem Plastik, gebratenem Hühnchen und Autoabgasen.

Ein Schwimmbagger schaufelt verseuchten Schlamm aus dem zugemüllten Fluss. Das einzige Wasser hier kommt vom Himmel, eine Kanalisation gibt es nicht. An sonnigen Tagen brennt die Sonne über den Arbeitern auf den dunkelgrauen Sandböden noch heißer als in den Straßenschluchten der Hauptstadt; bei Regen versinkt die Abfall-Metropole in einem giftigen schwarzen Morast.

Männer zerschlagen mit einfachem Werkzeug wie Hammer und Meißel Klimaanlagen oder Motorenteile, um die Materialien zu trennen. Andere holen IC-Bausteine aus Leiterplatinen, die säckeweise um sie herumstehen oder verbrennen Kabel, um an das Kupfer zu gelangen – dazwischen kocht eine Frau Hühnchen-Reste in einer Paprikasuppe aus.

Zwischen Bergen von Autoreifen, alten Tanks und Ölfässern trägt eine Frau geschnitzte Wassermelonen auf dem Kopf, eine andere bietet Kekse zum Verkauf an – in einem alten Trikot von Borussia Mönchengladbach. Im Staub liegt ein Kühlpack eines bekannten Brauereiriesen: “klassisch herb”. Und über all dem blickt auf der Spitze eines riesigen Müllbergs ein Rind durch die braunen Rauchschwaden, als wäre es das Goldene Kalb der westlichen Wohlstandsgesellschaft.

Als Yaro zehn Jahre alt war, starb sein Vater. Niemand in der Familie konnte einen weiteren Schulbesuch finanzieren. Und so entschied sich der Junge – wie so viele im Norden des Landes -, sein Glück in der Hauptstadt Accra zu versuchen. 17 Jahre lebte und arbeitete er dann auf der Müllkippe, gründete eine Familie.

Mit 27 zog er mit Frau und drei Kindern zurück in seine Heimatstadt Tamale – doch nun, nach der Pleite seines Arbeitgebers, fehlt das Geld. Und so verbrennt der noch nicht einmal 30 Jahre alte Mann erneut Elektrokabel. “Wenn es gut läuft”, erklärt er, “kann ich in vielleicht 20 Monaten das Geld für ein eigenes Lasten-Motorrad zusammensparen.” Damit will er sein eigenes Recyclinggeschäft in Tamale gründen.

Arbeit gibt es genug: Ständig kommen Lastwagen mit neuem Schrott an; dreirädrige Motorräder fahren die sortierten Materialien zu den von Clans aufgeteilten Schrottfeldern. Yaro geht an den Männern vorbei, die alte Automotoren auseinandernehmen, grüßt seine Bekannten bei den Leiterplatinen und besucht Mohammed im Lager der Kupfersammler. Überall suchen abgemagerte Schafe, Ziegen und Rinder ihren Weg durch das Chaos, fressen Plastik, Abfälle, Essensreste. Auf diesen 16 Quadratkilometern gibt es keinen einzigen Grashalm. Dazwischen spielen Kinder mit allem, was sie auf dem verseuchten Boden finden. Niemand scheint sich um sie kümmern zu können.

Doch für manche gibt es hier ein Stückchen Himmel: In einem kleinen zweigeschossigen Haus der katholischen Kirche – “City Of God” genannt – werden rund 60 Kinder von Ordensschwestern, Freiwilligen und Lehrern tagsüber in drei Räumen betreut, erhalten Mahlzeiten und medizinische Betreuung. Seit 2013 leitet der indische Pfarrer Subhash Chittilappilly gemeinsam mit Steyler Missionarinnen das Zentrum, in dem auch Yaro bei seinem ersten Aufenthalt vor allem als Vermittler mithalf. Doch die Einrichtung platzt aus allen Nähten.

2019 richtete Schwester Angelina Gerharz deshalb gemeinsam mit dem Hilfswerk missio in der Fernsehsendung “Ein Herz für Kinder” einen Appell für den Neubau eines Kinderschutz-Zentrums an das deutsche Fernsehpublikum. Jetzt wurde das Zentrum von ZDF-Moderatorin Gundula Gause und missio-Vizepräsident Gregor von Fürstenberg eingeweiht.

In fünf kindgerechten Räumen können hier zukünftig weitere 150 Kinder spielend lernen oder auf dem geschützten Freigelände toben – sogar ein Trampolin lädt dazu ein. Auch Yaros jüngste Tochter könnte hier einen gesicherten Platz zum Lernen und Spielen finden. Doch er wird alles daransetzten, dass sie nicht hierher kommen muss, sondern eine Zukunft im Norden des Landes findet – fernab vom europäischen Schrott.