München/Brüssel – Der Trägerverein der Globalisierungsgegner Attac muss nach einem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) mit dem endgültigen Entzug der Gemeinnützigkeit rechnen. Zwar gelte die unter Volksbildung zu fassende politische Bildungsarbeit als gemeinnützig, nicht aber der Einsatz für allgemeinpolitische Forderungen zur Tagespolitik und dazu durchgeführte Kampagnen, betonten die Münchner Richter bei der Jahrespressekonferenz. (AZ: V R 60/17) Die Grünen und mehrere Sozialverbände reagierten mit Unverständnis.
Das Finanzamt hatte 2014 dem Attac-Trägerverein für die Jahre 2010 bis 2012, um die der Streit geht, die Gemeinnützigkeit entzogen und begründete das mit der allgemeinen politischen Tätigkeit, die nicht als gemeinnützig gelte. Seitdem stellt der Verein keine Spendenbescheinigungen mehr aus. Spenden sind damit nicht mehr steuerlich absetzbar.
Das Hessische Finanzgericht in Kassel gab den Globalisierungsgegnern noch recht. Die Arbeit von Attac sei als „Volksbildung“ einzustufen, die als gemeinnützig anzusehen sei. Doch dem widersprach nun der BFH. Die Abgabenordnung weise 25 gemeinnützige Zwecke auf, wie Verbraucherschutz, Tierschutz, Umwelt, Sport und auch die politische Bildung, zu der auch die Volksbildung gehört.
Die Volksbildung, so das Gericht, müsse aber eigenständig und in „geistiger Offenheit“ betrieben werden. Das sei bei Attac nicht der Fall. Der Trägerverein habe ganz konkrete Lösungsvorschläge zu bestimmten allgemeinpolitischen Themen durchsetzen wollen, etwa zum Sparpaket der Bundesregierung, der Bekämpfung der Steuerflucht oder zum bedingungslosen Grundeinkommen.
Zwar dürften auch gemeinnützige Vereine politische Forderungen erheben, wie etwa eine Umweltschutzorganisation zu Atomkraft. Aber Attac habe allgemeinpolitische Forderungen zu verschiedensten Themen gestellt. Das Finanzgericht muss nun die Gemeinnützigkeit von Attac aus formalen Gründen erneut prüfen.
Sven Giegold, EU-Abgeordneter der Grünen und Mitgründer von Attac Deutschland, sprach von einem „schwarzen Tag für die Demokratie“. Das Urteil bedeute für viele gemeinnützige Vereine Unsicherheit und finanzielle Risiken. Ein Verein, der politische Bildungsarbeit macht, könne sich seines Status der Gemeinnützigkeit nicht mehr sicher sein. Giegold, der 2001 bis 2007 mit kurzer Unterbrechung Mitglied im bundesweiten Attac-Koordinierungskreis war, warnte, dass „das Kräfteverhältnis zwischen finanzstarken Wirtschaftsverbänden und kritischer Zivilgesellschaft nun weiter auseinanderklaffen wird“. Er rief Bundesjustizministerin Katharina Barley (SPD) auf, rechtliche Sicherheit für die Zivilgesellschaft zu schaffen.
Ähnlich äußerte sich das internationale Kinderhilfswerk terre des hommes in Osnabrück. Auch hier traf die BFH-Entscheidung auf Unverständnis. „Attac setzt sich mit Kampagnen gegen die weit verbreitete Steuerflucht internationaler Konzerne ein. Diese Art des politischen Engagements von Attac dient dem Gemeinwohl und sollte nicht bestraft werden, sondern steuerlich begünstigt bleiben“, sagte Vorstandssprecher Albert Recknagel. Er hoffe, dass das Urteil keinen Bestand habe.
Konsequenzen für eine Vielzahl von Ehrenamtlern befürchtet Stefan Diefenbach-Trommer, Vorsitzender der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“, unter deren Dach sich mehr als 80 Organisationen zusammengeschlossen haben. Er sagte der „Neuen Osnabrücker Zeitung“: „Die Entscheidung bedroht Tausende Vereine und Stiftungen. Sie alle müssen sich fragen, ob ihnen der Status der Gemeinnützigkeit bei der nächsten Finanzamtsprüfung aberkannt wird.“ Der Gesetzgeber müsse nun regeln, was aus seiner Sicht gemeinnützig ist. epd