Als Putin am 24. Februar 2022 die Ukraine überfiel, war dies nicht nur ein Angriff auf das viel kleinere Nachbarland. Es war auch ein Angriff auf die globale Nahrungsversorgung. Eine Doku beleuchtet die Zusammenhänge.
Der Schock ist dem ukrainischen Landwirt auch über ein Jahr danach deutlich anzumerken: Man sieht und hört es dem gestandenen Bauern Wolodymyr Lysenko an, wie tief ihn der Beschuss seines Betriebs durch die russische Armee kurz nach Kriegsbeginn erschüttert hat. Ein paar Minuten zuvor war er noch vor Ort gewesen – plötzlich brannten Korn und Traktoren, war sein gesamter Betrieb zerstört, verwüstet, ruiniert.
Ein sogenannter Kollateralschaden waren derlei russische Angriffe auf ukrainische Landwirtschaftsbetriebe, von denen es unzählige gab, nicht. Das legt der Dokumentarfilm “Hunger als Waffe” nahe, den Arte am 20. Februar von 23.00 bis 0.00 Uhr im Rahmen eines Themenabends ausstrahlt, aus Anlass des Kriegsbeginns vor zwei Jahren.
Dass “Putin auch einen Feldzug zur systematischen Zerstörung der ukrainischen Landwirtschaft führt”, wie es hier einmal heißt, untermauert Filmemacher Vincent De Cointet mit unzähligen Aussagen und Dokumenten. Der brutale Angriffskrieg diente neben den bekannten “Gründen” auch dazu, einen starken Konkurrenten auf dem Getreidemarkt aus dem Weg zu räumen, sich Zugriff auf dessen Ernten zu verschaffen – und so mit purer Gewalt nicht weniger als eine “neue Weltordnung” in Sachen Ernährung durchzusetzen.
All dies arbeitet Autor und Regisseur De Cointet so präzise wie umfassend heraus. Dafür ist er in die Ukraine, nach Russland und nach Ägypten – dem weltweit größten Getreideimporteur – gereist, hat dort zahlreiche Politiker, Ökonomen, Gewerkschaftler, Landwirte, Botschafter, Wissenschaftler, Unternehmer und Journalisten (tatsächlich allesamt männlich) zum “Machtinstrument” Getreide befragt. Eine wahre Fleißarbeit ist es, die De Cointet da betrieben hat – ohne den Film darauf reduzieren zu wollen. Derart viele Informationen, Blickwinkel und Einschätzungen trägt er zusammen, dass die 52 Minuten Laufzeit bis zum Bersten gefüllt sind.
Dabei geht es vor allem um die auf vielfache Weise zu ortenden Folgen des russischen Angriffs für die ukrainische Landwirtschaft und deren komplexe, weltweit zu spürenden Auswirkungen: So explodierte der Weizenpreis schon bald nach Kriegsbeginn; er stieg auf mehr als das Doppelte.
Die Doku nimmt die durch Raketen zerstörten ukrainischen Betriebe in den Blick, den Diebstahl von deren Ernten (oder deren Abpressung für kleines Geld), die durch die russischen Besatzer gesperrten ukrainischen Handels- und Exportrouten. Aber natürlich auch das Getreideabkommen, das schließlich für eine Weile ukrainische Exporte ermöglicht, von Russland jedoch nach Gutdünken, “wie ein Schraubstock”, genutzt wird. Und die “Erpressungsdiplomatie” des großen Landes mit seinem mittlerweile weitreichenden Zugriff auf den globalen “Getreidehahn”, die dafür sorgt, dass sich zahlreiche Länder des globalen Südens bei den UN-Resolutionen gegen Russland enthielten.
Mithilfe von Archivbildern bietet der Film zudem einen Rückblick in die Anfänge von Putins Herrschaft, der die brachliegende russische Landwirtschaft seit den 2000er Jahren auf das Niveau einer der produktivsten Agrarwirtschaften der Welt gebracht hatte.
All dies ist interessant, informativ und perspektivisch vielfältig erzählt: Auch russische Gesprächspartner kommen zu Wort, die allerdings vor allem propagandistische Plattitüden a la “der Westen ist schuld!” von sich geben. Auch atmosphärisch ist die Doku gelungen; Kamera und Musikauswahl leisten überzeugende Arbeit. Eine längere Laufzeit hätte der Film allerdings fraglos gut vertragen, denn gelegentlich fehlt es schlicht an Momenten zum Durchschnaufen und Verarbeiten.