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Argentiniens Arme trauern um den Papst

Die Pfarrkirche der Jungfrau der Wunder von Caacupé ist brechend voll. Dutzende Frauen beten voller Inbrunst den Rosenkranz, dann werden Tische hin- und hergerückt und die Schiebetür zur Gemeindehalle nebenan geöffnet. Lorenzo de Vedia, ein prominenter Armenpriester aus Buenos Aires, hat sein weißes Ornat angelegt und lädt die draußen Stehenden nach vorne. Schließlich ist der Marmoraltar umringt von Gläubigen. Es ist, als wäre das gesamte Viertel gekommen, um sich von Papst Franziskus zu verabschieden.

Die Menschen trauern, beten und singen, sie feiern aus ganzem Herzen das Leben von Jorge Mario Bergoglio, anderthalb Stunden lang. „Franziskus schaut uns vom Himmel aus zu“, ruft der 58-jährige Padre Toto, wie sie ihn hier nennen, „er bleibt unser Verbündeter, er weiß, dass wir seinen Weg weitergehen“. Und er erinnert daran, wie Franziskus 2013 in Brasilien die Jugend der Welt aufgerufen hat, aufzustehen, auf die Straße zu gehen und anzupacken, „damit die Kirche keine Nichtregierungsorganisation wird“.

Den Papst kennen hier viele persönlich. Als Erzbischof von Buenos Aires ist er immer wieder mit dem Bus nach 21-24 gekommen, eines der berühmt-berüchtigten Armenviertel im Süden der argentinischen Hauptstadt. Hier wohnen vor allem Migrantinnen und Miranten aus Paraguay und ihre Kinder. Olga López berichtet, wie Bergoglio den damaligen Gemeindepriester bei der Gründung eines Heims unterstützte, in dem ihr Sohn von der Crack-Abhängigkeit geheilt wurde. Gleichzeitig organisierten sie Nähkurse für die Mütter der betreuten Jugendlichen.

Auch heute wird das Viertel durch die Kirchengemeinde mit ihrer Schule zusammengehalten. Vier Frauen organisieren jeden Tag die Essensausgabe für die Bedürftigsten. Es gibt Hühnerschnitzel mit Reis, einem Brötchen und einem Apfel. Vor dem schlichten Haus unweit der Jungfrauenkirche hat sich eine Schlange gebildet. „Wir bekommen genau mit, wie die Armut zugenommen hat“, sagt Fabiana de la Fuente, „viele Leute lassen einfach eine Mahlzeit ausfallen“. Auch mehr Arbeitslosigkeit und Drogenhandel gebe es, seitdem der ultrarechte Präsident Javier Milei im Amt sei, berichten die Frauen.

Umso wichtiger sind die Musikkurse und andere Aktivitäten des „Clubs“, die Padre Toto und sein junger Kollege Jesús Carides mit den aktiven Laien von Caacupé organisieren. „Wir setzten auf Kapelle, Schule und Club, damit die Jugendlichen nicht auf der Straße, im Gefängnis oder auf dem Friedhof landen“, sagt Padre Jesús.

Der Endzwanziger ist im Viertel Bajo Flores groß geworden und hat Bergoglio immer wieder als Jugendlicher erlebt. „Als Erzbischof war er ganz nah an den Leuten und hat den Armen die Botschaft von Jesus Christus verkündet“, sagt er, „und als Papst war er ein Netzwerker, ein Brückenbauer, ein Mensch, der sich immer für den Frieden eingesetzt hat.“ Von ihm und anderen Priestern der Armenviertel, den „curas villeros“, habe er gelernt, auf die „organisierte Gemeinschaft“ zu setzen.

Noch mehr schwärmt Armenpriester Toto de Vedia über Franziskus: „Er war ein außergewöhnlicher Mensch, ein engagierter Priester, ein brillanter Bischof und ein Papst, der aller Erwartungen übertroffen hat“, sagt der dynamische, stets gut gelaunte Kirchenmann, nachdem er sein Fahrrad weggeräumt hat. „Franziskus hat jene Kirche geschaffen, von der wir lange geträumt hatten, aber von der wir lange glaubten, sie würde nie existieren – eine Kirche als wagemutige Verteidigerin der Armen“.

Als Papst habe er neue Wege geöffnet, sagt de Vedia, aber die katholische Kirche „hat nun einmal ihre Geschichte, und sie ändert sich nur sehr langsam, das geht nicht per Dekret“. Franziskus habe alles dafür getan, dass der Zölibat eines Tages abgeschafft werden kann, davon ist er überzeugt. Etliche seiner Landsleute hätten ihre Probleme mit dem argentinischen Papst gehabt: „Viele, die seine Wahl begrüßt haben, mochten ihn nicht mehr so, als sie gesehen haben, welchen Kurs er eingeschlagen hat. Aber mit der Zeit werden sie ihn besser verstehen.“

Um neun Uhr abends ist die Messe zu Ehren von Franziskus zu Ende. Wenige Kilometer weiter erstrahlt das Konterfei des Papstes auf dem Obelisken von Buenos Aires, zusammen mit einem seiner Lieblingssätze: „Betet für mich.“