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Angehörige verprügeln Krankenhausmitarbeiter in Essen

Die Hemmschwelle für aggressives Verhalten in Krankenhäusern und Arztpraxen sinkt. Am Freitag sorgte der Tod eines Patienten in Essen dafür, dass Familienangehörige gewalttätig wurden. Politik und Medizin sind entsetzt.

Patienten, die Klinikzimmer verwüsten oder in Arztpraxen Personal attackieren. Seit einiger Zeit häufen sich die Meldungen über Aggressionen gegen Ärzte, Sanitäter und Pflegepersonal.

Wie jetzt in Essen: Angehörige eines gerade verstorbenen Patienten haben am Freitag sechs Mitarbeiter des Elisabeth-Krankenhauses angegriffen und teils schwer verletzt. Ein 41-jähriger Tatverdächtiger türkisch-libanesischer Herkunft wurde festgenommen und später wieder freigelassen. Es wurde Anzeige erstattet.

Der Vorfall sei eine Zäsur, sagte Klinik-Geschäftsführer Peter Berlin, “denn hier hat eine bisher noch nie dagewesene Aggressivität und Gewalt gegenüber Mitarbeitenden unseres Hauses stattgefunden”. Ab sofort würden deshalb Zugangskontrollen eingeführt. Die Polizei prüft, ob Verbindungen zur Clankriminalität bestehen.

Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU) verurteilte die Gewalt am Montag scharf. “Auch der Verlust eines nahen Angehörigen entschuldigt oder rechtfertig nicht ein solches Verhalten oder gar einen Angriff auf Krankenhauspersonal und ein Krankenhaus”, erklärte er. Kufen kündigte für Dienstag ein Gespräch mit dem Personal des Krankenhauses an: “Ich werde unmissverständlich deutlich machen, wo wir als Stadtgesellschaft stehen, nämlich hinter dem gesamten medizinischen Personal, hinter unseren Einsatzkräften der Polizei, der Feuerwehr und unserer Hilfsorganisationen.”

Aggressionen gegen Rettungskräfte, Pflegepersonal, Ärzte und Beschäftigte in Arztpraxen haben offenbar deutlich zugenommen. Nach einer im April veröffentlichten Analyse des Deutschen Krankenhausinstituts im Auftrag der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) gaben 73 Prozent der 250 beteiligten Krankenhäuser an, die Zahl der Übergriffe sei in den letzten fünf Jahren mäßig (53 Prozent) oder deutlich (20 Prozent) gestiegen. Nur vier Prozent verzeichneten weniger Gewalt.

Bundesweite Zahlen für das Gesundheitswesen insgesamt hat die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) Ende 2023 vorgelegt. Unter den 353.857 Arbeitsunfällen, die zwischen 2018 und 2022 gemeldet wurden, wurden 26.500 Vorfälle von Aggression oder Gewalt registriert. Berücksichtigt wurden dabei allerdings nur Ereignisse, die zu einem Arbeitsausfall von mindestens drei Tagen führten.

Demnach kommt es rund 5.300 Mal pro Jahr zu gewalttätigen Übergriffen oder zu sexualisierter Gewalt gegen Gesundheits- und Pflegepersonal. Dabei werden “neun von zehn Beschäftigten vorwiegend körperlich, eine Person von zehn Personen vorwiegend seelisch verletzt”, heißt es. Besonders betroffen seien Beschäftigte in Beratung und Betreuung sowie Alten- und Krankenpflege.

Als Hauptursache für Gewalt in den Krankenhäusern nannten 77 Prozent der befragten Einrichtungen den durch Alkohol oder Schmerzen beeinflussten Zustand von Patienten. 73 Prozent der Häuser hielten den allgemeinen Verlust von Respekt gegenüber den Klinikmitarbeitenden für ausschlaggebend. 69 Prozent gaben krankheitsbedingtes Verhalten, zum Beispiel von dementen oder psychisch kranken Patienten, als Grund an. Als weitere Ursache nannten 40 Prozent lange Wartezeiten.

Auch der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, sieht lange Wartezeiten in den Notaufnahmen als bedeutenden Auslöser. “Oft akzeptieren Patientinnen und Patienten und ihre Angehörigen die Triage nicht, also die Reihenfolge, wie Notfälle behandelt werden. In der persönlichen Notsituation kommt es dann immer wieder zu aggressivem Verhalten.”

Gaß betont: “Wer das zunehmende Problem der Übergriffe gegen Krankenhausbeschäftigte genauso wie gegen Rettungskräfte und viele andere angehen will, muss schon deutlich vor der Krankenhausversorgung ansetzen und gesellschaftliche Schieflagen thematisieren.” Dabei seien auch klare und harte Strafen für Gewaltdelikte gegen alle Helferinnen und Helfer notwendig.

Auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte im August angekündigt, Gewalt und Gewaltandrohungen gegen Ärztinnen, Ärzte und Pflegekräfte müssten stärker bestraft werden. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) sagte, man wolle klären, ob das geplante Gesetz zum besseren Schutz von Einsatz- und Rettungskräften wie Feuerwehrleuten, Sanitätern und Polizisten auch auf Kliniken und Arztpraxen ausgeweitet werden könne.

Darüber hinaus setzen Krankenhäuser vor allem auf Deeskalationstrainings, Zutrittsbeschränkungen, Videoüberwachung und Sicherheitsdienste. Gefordert wird auch ein flächendeckendes Meldesystem, in dem Fälle von verbaler und körperlicher Gewalt angezeigt und Erkenntnisse für die Prävention gewonnen werden können.