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Anerkennen – nicht vereinnahmen

Die besondere Chance des Unterrichts liegt in der Begegnung auf Augenhöhe. Es geht um verantwortungsbewusste Urteilsbildung im Wissen um die Religion/Weltanschauung und die gelebte Glaubenspraxis der Anderen

Der Religionsunterricht ist das einzige im Grundgesetz erwähnte Schulfach. Dennoch ist er immer wieder Diskussionen ausgesetzt. In den vergangenen Jahren kreisen diese auch um den Umgang mit religiöser und weltanschaulicher Vielfalt in unserer Gesellschaft:
Muss neben der Lehre über die eigene Konfession/Religion auch die Vermittlung über andere Religionen treten? Für wen und wie viele Angehörige welcher Religionsgemeinschaft soll bekenntnisorientierter Religionsunterricht angeboten werden – und vor allem von wem?
Ist er angesichts zunehmend konfessions- und religionsloser Schülerinnen und Schüler überhaupt noch zu halten, oder sind alternative Bildungsangebote nötig? Wird gar die Vorbereitung auf das Leben in einer von vielfältigen Sinnbildungsangeboten geprägten Gesellschaft zum Hauptziel des Unterrichts?
„Religiöse Orientierung gewinnen – Evangelischer Religionsunterricht als Beitrag zu einer pluralitätsfähigen Schule“ – unter diesem Titel erschien im Jahr 2014 eine Denkschrift des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. Auch im Zentrum dieser Schrift steht das Bildungsziel der Pluralitätsfähigkeit. Diese läuft dabei keineswegs darauf hinaus, dass theologische und religiöse Bezüge keine Rolle mehr spielen sollen oder gar vermischt werden. Vielmehr gilt, dass zum Beispiel evangelische Überzeugungen heute gerade in der Pluralität zum Tragen gebracht werden müssen, aber auch zum Tragen kommen können.

In Deutschland zwei grundlegende Antworten

In Deutschland haben die Debatten über den Religionsunterricht zu zwei grundlegenden Antworten geführt: Es wurden einerseits sogenannte Ersatzfächer für den konfessionellen Religionsunterricht in Form eines Wahlpflichtfaches oder ordentlichen Lehrfaches (zum Beispiel Praktische Philosophie, Ethik, beziehungsweise „Religion“ (Bremen), „Religion für alle“ (Hamburg)) eingeführt, andererseits wurde der konfessionelle christliche Religionsunterricht um weitere Angebote erweitert. In Nordrhein-Westfalen zum Beispiel hat sich die Fächergruppe „Religion und Philosophie“ nach der flächendeckenden Einführung des islamischen Religionsunterrichts erneut verändert.
Evangelische, katholische, orthodoxe, jüdische, alevitische und muslimische Lehrkräfte sowie Unterrichtende im Fach Philosophie kommen mit Schülerinnen und Schülern über „Gott und die Welt ins Gespräch“.
Welche Rolle spielt vor diesem Hintergrund das interreligiöse Lehren und Lernen?
Es kann dabei nicht um eine vermeintlich neutrale Religionskunde gehen. Eine Chance interreligiösen Lernens liegt darin, dass in der Praxis Kinder und Jugendliche nicht nur über eine Religion informiert werden, sondern sie konkret in der Begegnung mit Menschen anderer Religionen Glaubensinhalte und -formen verstehen lernen.
Zum interreligiösen Lernen gehört deshalb die Begegnung auf „Augenhöhe“ – auch in Form gemeinsamer Gestaltung. Wie das geschehen kann, hat zum Beispiel ein „Runder Tisch“ mit Lehrkräften aus verschiedenen Schulformen im Pädagogischen Institut Villigst gezeigt. Christliche, jüdische und islamische Religionslehrerinnen und -lehrer fanden sich zu einem intensiven Austausch zusammen und stellten Beispiele vor: wie das interreligiöse Stationenlernen, bei denen unter anderem Schülerinnen und Schüler in religionsgemischten Gruppen Spezialthemen innerhalb eines umfassenden fächerübergreifenden Rahmenthemas gemeinsam bearbeiten. Sie berichteten über das konfessionell- und religionsübergreifende Teamteaching im Klassenverband,  gemeinsame Gotteshausbesuche, Theaterprojekte, gegenseitige Einladungen zu den Festen der Religionen und die Gestaltung von multireligiösen Schulfeiern.

Gemeinsame Projekte und gegenseitige Einladungen

Wichtig erschien den Teilnehmenden die Erarbeitung von Unterrichtsmaterialien durch gemischte Lehrteams und eine kontinuierliche Lehrerinnen- und Lehrer-Fortbildung zur Entwicklung interreligiöser Kompetenz.
Beim interreligiösen Lehren und Lernen gehe es um Anerkennen – nicht Vereinnahmen, auch in der Aufnahme der Frage nach der (religiösen) Wahrheit. Zudem um einen respektvollen und von Vertrauen geprägten Umgang miteinander. Dazu gehöre die Förderung einer verantwortungsbewussten Urteilsbildung im Wissen um die Religion/Weltanschauung und die gelebte Glaubens­praxis der Anderen. Ein Lernen, das sich nicht ausschließlich nur in gemeinsamem ethischen Handeln und moralischen Grundsätzen erschöpfen kann, sondern Differenzen und Gemeinsamkeiten erkennt, aber auch „in Demut“ auf das Eigene sieht und sich am Anderen erfreut.

Pfarrerin Ursula August ist Dozentin für Friedensbildung und interreligiöses Lernen am Pädagogischen Institut in Villigst.