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Am Flughafen sind immer alle am Limit

Flughafenseelsorgerin Bettina Klünemann fängt die Enttäuschung und Verzweiflung von Reisenden und Mitarbeitenden ab

An Deutschlands Flughäfen herrscht mitten in der Reisesaison immer wieder Chaos: Es fehlt an Personal. Auch in Frankfurt. Bettina Klünemann ist Seelsorgerin an Deutschlands größtem Flughafen. Die Pfarrerin hat sogar für die pampigsten Passagiere ein Ass im Ärmel.

Es ist heiß. Es ist voll. Niemand weiß, was geht – und vor allem was nicht geht. Auf Deutschlands Flughäfen spielen sich seit einigen Wochen chaotische Szenen ab. Während der Corona-Pandemie wollten die Airlines sparen und haben Mitarbeitende in Kurzarbeit geschickt – oder ganz gekündigt. Einige Kolleginnen und Kollegen sind von sich aus gegangen. Gleichzeitig wollen viele Menschen nach den Beschränkungen der vergangenen zwei Jahre gerade diesen Sommer endlich wieder verreisen.

Bettina Klünemann versteht die Leute. Sie ist Seelsorgerin am Flughafen Frankfurt. Gerade hat sie ein paar Tage Urlaub – und ist doch erreichbar. Denn an ihrem Arbeitsort ist Land unter. Die Passagiere genervt, gereizt, verzweifelt, verärgert. Das Personal ausgelaugt. Für beide Seiten haben sie und ihr Team der Flughafen-Seelsorge ein offenes Ohr.

„Die Situation ist für alle hochgradig belastend“, erzählt die Pfarrerin, die seit 2018 am Flughafen arbeitet. Das Personal arbeite größtenteils sieben Tage die Woche, zehn Stunden, ohne „Verschnaufpause“. „Als ich einige Kolleginnen und Kollegen nach ihren Pausenzeiten gefragt habe, haben die nur gelacht“, berichtet Klünemann. Einige gingen während der Arbeit nicht einmal auf Toilette. Zu groß der Druck hinter den Schaltern, im Sicherheitscheck, in der Gepäckausgabe. Es hakt und hängt überall.

Besonders belastet sind Familien mit Kindern

Mittendrin: Bettina Klünemann mit ihrer gelben Warnweste. Sie ist auf dem Flughafen unterwegs, stellt sich zu den wartenden Passagieren an die Schlange. Fragt, hört zu, versucht zu helfen. Besonders Familien mit Kindern tun der ehemaligen Mainzer Gemeindepfarrerin leid: „Wenn da die Kinder in der Schlange stehen mit ihrem Sonnenhut und erfahren, dass es möglicherweise nicht wie geplant in den lang ersehnten Urlaub geht, das ist so traurig.“ Auch für die Eltern eine Stressprobe. Denn in der Schlange gibt es kein Entertainment. Also heißt es: Kinder bespaßen, beruhigen, ihnen versuchen, die Situation zu erklären. Auch für Gruppen mit behinderten Menschen und deren Betreuende werde stundenlanges Warten zur Herausforderung.

Klünemann bietet den Reisenden in den Schlangen Stühle an, verteilt Visitenkarten, lädt die Menschen in die Flughafenkapelle ein. Das Angebot wird rege genutzt, wie die Pfarrerin erzählt: „Die Leute genießen die Ruhe fernab vom Trubel im Terminal.“ Viele zünden eine Kerze an, hinterlassen ein paar Zeilen im Gebetsbuch.

Nicht nur Urlaubsreisende suchen Trost bei Klünemann und ihren ehrenamtlichen Kolleginnen und Kollegen. Nach wie vor kommen Geflüchtete aus der Ukraine an, für die der Frankfurter Flughafen oft nur eine Station ist, etwa auf dem Weg nach Kanada oder in die USA. Für Menschen, die sich ohnehin nur schwer verständigen könnten, sei die Situation doppelt belastend, betont die Theologin, die einige Jahre in den Staaten gelebt hat. „Oft haben die Leute ihr komplettes Geld in den Flug gesteckt“, sagt sie und berichtet etwa von einem verzweifelten Familienvater, der kürzlich mit seinen vier Kindern und einem Enkelkind in Frankfurt gestrandet sei. Etwas stimmte mit den Papieren nicht, der Flug wurde gestrichen.

Ratlosigkeit und Chaos schweißen zusammen

Ein Lichtblick: Bei den Flugreisenden untereinander beobachtet die Pfarrerin eine zunehmende Solidarität. Inzwischen seien viele auf das Chaos vorbereitet. Während anfangs alle nur genervt gewesen seien, würden sich die Menschen heute oft gegenseitig helfen – dem anderen sagen, wo das WC ist, älteren Herrschaften einen Stuhl anbieten. Auch die Mitarbeitenden tüftelten ständig an neuen Ideen, wie sich das Chaos wenigstens etwas besser regeln lässt.

Ein Moment zum Runterkommen

Selbst für besonders gereizte Reisende haben Klünemann und ihre Mitstreitenden eine Lösung parat: „Wenn jemand pampig ist, bringen wir ihm erst einmal was zu essen und zu trinken. Ein Moment zum Nachdenken und Runterkommen. Das funktioniert meist sehr gut“, erzählt die Seelsorgerin und lacht.

Für alle, die ihren Sommerurlaub noch vor sich haben, rät die Flughafenpfarrerin: gelassen bleiben, Zeit mitbringen und sich schon einige Tage vor dem Urlaub nicht mehr so viele Aufgaben zumuten. Sie selbst macht übrigens lieber Urlaub an der Nordsee oder in den Alpen: „Da fahre ich mit der Bahn oder dem Auto hin, da brauche ich nicht zu fliegen“, sagt sie augenzwinkernd.