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Alle Mühe umsonst?

Über den Predigttext zum Sonntag Reminiszere: Jesaja 5,1-7

Predigttext
1 Wohlan, ich will von meinem lieben Freunde singen, ein Lied von meinem Freund und seinem Weinberg. Mein Freund hatte einen Weinberg auf einer fetten Höhe. 2 Und er grub ihn um und entsteinte ihn und pflanzte darin edle Reben. Er baute auch einen Turm darin und grub eine Kelter und wartete darauf, dass er gute Trauben brächte; aber er brachte schlechte. 3 Nun richtet, ihr Bürger zu Jerusalem und ihr Männer Judas, zwischen mir und meinem Weinberg! 4 Was sollte man noch mehr tun an meinem Weinberg, das ich nicht getan habe an ihm? Warum hat er denn schlechte Trauben gebracht, während ich darauf wartete, dass er gute brächte? 5 Wohlan, ich will euch zeigen, was ich mit meinem Weinberg tun will! Sein Zaun soll weggenommen werden, dass er kahl gefressen werde, und seine Mauer soll eingerissen werden, dass er zertreten werde. 6 Ich will ihn wüst liegen lassen, dass er nicht beschnitten noch gehackt werde, sondern Disteln und Dornen darauf wachsen, und will den Wolken gebieten, dass sie nicht darauf regnen. 7 Des Herrn Zebaoth Weinberg aber ist das Haus Israel und die Männer Judas seine Pflanzung, an der sein Herz hing. Er wartete auf Rechtsspruch, siehe, da war Rechtsbruch, auf Gerechtigkeit, siehe, da war Geschrei über Schlechtigkeit.

Das ist ein Traum! Geschäftiges Treiben. Es ist ein Fest, Laubhüttenfest. Viele sind gekommen, um zu feiern. Das Leben, die Ernte, den Ertrag der Weinberge. Die Stimmung ist ausgelassen. Es gibt reichlich Grund zum Danken. Es wird getanzt, gemeinsam gegessen und gesungen. Es wird erzählt und an die gemeinsame Geschichte erinnert. Die Hoffnung auf ein blühendes Morgen kommt zum Vorschein.

Einer der Mitfeiernden stellt sich in die Mitte der Menge. „Ist das nicht Jesaja, der Sohn des Amoz?“, fragt einer. „Ja, der hat mitunter seltsame Ansichten.“ – „Was meinst du mit seltsam?“ „Ach, der ist so negativ, kritisiert alles, ruft immer wieder zur Umkehr auf.“ – „Ich will singen von meinem Freund mit einem Weinberg auf einer fruchtbaren Höhe!“, stimmt Jesaja sein Lied an. – „Ist doch gar nicht so negativ!“ – „Mein Freund machte alles, dass in seinem Weinberg die Trauben reifen können, sein ganzes Augenmerk gilt seinem Weinberg!“

Enttäuschung steht im Raum

Und vor den inneren Augen der Zuhörenden entsteht eine Idylle: mit Liebe ist der Weinbauer in seinem Weinberg zugange. Sie können die Hacke auf der Schulter des Mannes sehen und die Hütte bei den Reben. „Aber das ganze Mühen hatte nicht den erhofften Erfolg, und die Früchte des Weinberges waren nicht zu gebrauchen“. – „Da ist er wieder, hab ich doch gesagt, total negativ!“

Die Stimmung kippt: eben noch das Idyll und nun die desillusionierte Wirklichkeit. Eben noch das Bild der erfolgreichen Mühe und nun die bittere Erkenntnis, dass reife und saftige Früchte eine Wunschvorstellung bleiben. Und mit einem Mal stehen unausgesprochen viele Geschichten im Raum. Geschichten von unerfüllten Wünschen, von Mühen, die nicht mit Erfolg gekrönt waren. Eltern, die sehr um die Kinder besorgt waren und doch nur Ablehnung erfahren. Der Mann, der sich so um eine Frau bemühte und nur Abfuhren bekam.

Enttäuschung steht im Raum. Das Gefühl, versagt zu haben, obwohl sich doch so sehr bemüht wurde. Vergeudete Liebesmüh! – „Was kann man meinem Freund denn vorwerfen?“, fragt Jesaja. Er beschreibt, wie unglücklich und frustriert der Weinbauer mit dem für ihn nutzlos gewordenen Weinberg umgeht: Er überlässt ihn sich selbst, reißt alles Schützende ein und die Natur nimmt sich zurück, was er zu kultivieren versuchte.

„Mit dem Weinberg ist es wie mit dem Volk Gottes. An ihm hing Gottes Herz. Und er hoffte, dass es gerecht zuginge, solidarisch mit den Schwachen, tröstlich für die Verzweifelten, hoffnungsstiftend für die, die nach Orientierung suchen“, erklärt Jesaja. – „Singt der jetzt über uns?“, fragt einer. „Ja, er hat doch Recht! Guckt euch doch mal um: Jeder versucht nur das Eigene ins Trockene zu bringen. Jeder hat nur sich selbst im Blick, das große Ganze ist den meisten doch völlig egal. Soll einen doch nicht wundern, dass Gott das nicht gefällt!“

Jesaja ist längst abgetreten, als die Zuhörenden noch immer diskutieren. Einer nach dem anderen verlässt schließlich den Platz. Nachdenklich und aufgewühlt. Manches kommt den Menschen in den Sinn, was in dieser Welt nicht okay ist.

Und vielleicht geht das Menschen heute noch so! Dass uns Geschichten einfallen, die von unserer Lieblosigkeit sprechen, unserem Kreisen um uns selbst. Jesaja wollte den Spiegel vorhalten und fragen: Schau dich an, wo sind die Lieblosigkeiten, an der die Welt und an der Gott leidet? Wo sind die frustrierten Bemühungen um Gutes, wo nur Schlechtes entstand?

Vielleicht lässt sich manches korrigieren und bestimmt lässt sich manches vermeiden, wenn wir um die Fallen wissen, in die wir immer wieder tappen. Und ganz bestimmt freut sich der Weinbergbesitzer als ein Freund des Lebens über aufrichtige Taten der Liebe.