Der Aufbau eines stabilen Afghanistans ist nach Ansicht von Sachverständigen an der mangelnden Beteiligung der gesellschaftlichen Akteure gescheitert. Die afghanische Politikerin Habiba Sarabi sagte bei einer Anhörung in der Enquete-Kommission des Bundestags, der Ausschluss der Taliban von der Petersberger Konferenz im Jahr 2001 sei der „größte Fehler“ gewesen. Ähnlich äußerten sich weitere Fachleute.
Nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 in den USA begann der internationale Einsatz in Afghanistan. Die radikal-islamischen Taliban wurden militärisch gestürzt, und die USA machten Jagd auf Osama Bin Laden, der als Drahtzieher der Terroranschläge galt und in dem Land am Hindukusch vermutet wurde.
Übergangsregierung beschlossen
Auf dem Bonner Petersberg stellten afghanische Politiker unter Vermittlung der Vereinten Nationen Anfang Dezember die Weichen für die Zukunft ihres Landes. Es wurde eine Übergangsregierung unter Hamid Karsai beschlossen und die Stationierung einer internationalen Friedenstruppe. Die Taliban waren an diesen Verhandlungen nicht beteiligt.
Sarabi, die in Afghanistan Gouverneurin und Frauenministerin war, denkt, dass die Lage heute eine andere wäre, hätten die Taliban damals teilnehmen können. US-Präsident George W. Bush habe dies jedoch mit der Begründung abgelehnt, dass die US-Regierung nicht mit Terroristen spreche. Wie die per Video zugeschaltete Politikerin sagte, waren die Amerikaner überzeugt, die Taliban besiegt zu haben. Letztere hätten daraufhin den bewaffneten Kampf wieder aufgenommen. Sie seien schließlich so mächtig geworden, dass sie 20 Jahre später mit Gewalt die Macht im Land am Hindukusch wieder übernehmen konnten.
Der Witz mit dem Taxifahrer
Nach Ansicht der Konfliktforscherin Susanne Schmeidl wurde eine echte Chance verpasst, die verschiedenen Gruppen der afghanischen Gesellschaft einzubinden. Die Mitarbeiterin der schweizerischen Friedensstiftung Swisspeace erzählte von einem Witz, der unter Afghanen verbreitet war, wonach sie der Taxifahrer seien, während andere hinten säßen und bestimmten, wohin es gehe. Der Witz habe ausgedrückt, dass sich die Menschen völlig fremdbestimmt gefühlt hätten. Denn die wichtigen Entscheidungen seien ohne sie getroffen worden.
Afghanistanexperte Thomas Ruttig schilderte die Zusammensetzung der Petersberger Konferenz. So sei zwar mit der sogenannten „Nordallianz“ eine bewaffnete Konfliktpartei eingeladen gewesen, aber eben nicht die Taliban. Ferner waren seinen Angaben nach Anhänger des 1973 gestürzten Königs vertreten sowie eine Gruppe aus Ex-Politikern, die sich bei Treffen in Zypern um eine politische Beilegung des innerafghanischen Kriegs bemühte. Außerdem hätten Anhänger eines Ex-Mudschahedinführers teilgenommen. Allerdings sei einer fünften Delegation aus pro-demokratischen Inlands- und Exilgruppen trotz offizieller Einladung die Teilnahme kurzfristig verwehrt worden.
Kommission untersucht Bundeswehreinsatz
„Auf wessen Initiative das geschah, ist unklar“, sagte der Mitarbeiter der Denkfabrik Afghanistan Analysts Network und bezeichnete dies als „strategischen Fehler“. Mit Blick auf Karsai sagte Ruttig, dieser habe außer der US-Unterstützung keine eigene Hausmacht gehabt. Den Afghanen sei jemand vorgesetzt worden. Insgesamt sei die Situation in Afghanistan intern und extern sehr viel besser dargestellt worden, als sie gewesen sei.
Die Enquete-Kommission „Lehren aus Afghanistan für das künftige vernetzte Engagement Deutschlands“ untersucht den 20-jährigen Bundeswehreinsatz sowie das zivile Engagement in Afghanistan in dieser Zeit. Überdies gibt es einen Untersuchungsausschuss, der sich auf die militärische Evakuierungsaktion aus Kabul im August 2021 beschränkt. Die sogenannte Luftbrücke war wegen der schnellen Rückeroberung des Landes durch die Taliban nötig geworden.