Abendmahl mit Traubensaft statt Wein – das wird seit Langem praktiziert in evangelischen Gemeinden. Das Hauptargument für diese Praxis: Niemand wird ausgeschlossen, weder Kinder noch Menschen, die aus irgendeinem Grund keinen Alkohol trinken. Traubensaft ist da einfach die nächstliegende Alternative: leicht zu beschaffen, wohlschmeckend und sogar noch aus dem gleichen Rohstoff wie Wein.
Bisher sehen die meisten Kirchenordnungen dennoch weiterhin Wein für das Abendmahl vor; Traubensaft gilt rein rechtlich gesehen als Ausnahme, die jede Gemeinde für sich einführen kann. Die Evangelische Kirche von Westfalen will für die vielerorts geübte Praxis jetzt auch eine Grundlage in der Kirchenordnung schaffen. Bisher heißt es dort, dass beim Abendmahl „die Einsetzungsworte gesprochen und Brot und Wein ausgeteilt“ werden. Jetzt soll das Wort „Wein“ gegen „Kelch“ ausgetauscht werden. Die Landessynode wird Mitte November über diese Änderung abstimmen; beim vorangegangenen Stellungnahmeverfahren in den Kirchenkreisen gab es keine Gegenstimme. Gleichwohl sind nicht alle von der Änderung überzeugt.
Eine rechtliche Basis für Traubensaft
Karsten Karad etwa findet, es gibt gute Gründe, die Formulierung in der Kirchenordnung so zu lassen, wie sie ist. „Es geht mir keineswegs darum, das Abendmahl mit Traubensaft wieder abzuschaffen“, sagt Karad, der Presbyter in Lünen und Mitglied der Kreissynode Dortmund ist. „Vielmehr geht es mir darum, das Abendmahl mit Wein – zumindest verlässlich an bestimmten Orten und zu bestimmten Zeiten – zu erhalten.“
In seiner Heimatgemeinde Lünen wird bereits jetzt an vier Predigtstätten ausschließlich mit Traubensaft gefeiert; nur in der fünften wird im monatlichen Abendmahlsgottesdienst noch Wein ausgeteilt. Karad fürchtet, dass hier und anderswo das Abendmahl mit Wein ganz verschwinden wird, wenn es nicht mehr gewissermaßen als Grundform in der Kirchenordnung festgeschrieben ist. Und das findet der Mediziner schade. „Ich möchte ein Abendmahl – zumindest hin und wieder – feiern, so wie Jesus es gefeiert hat, mit Wein“, argumentiert er. Die Furcht, dass Kinder oder alkoholkranke Menschen damit vom Abendmahl ausgeschlossen würden, hält er für unbegründet. „Als Arzt kann ich bestätigen: In manchem Hustensaft für Kinder ist mehr Alkohol drin als in der Oblate, die in den Wein getaucht wird.“ Und für alkoholkranke Menschen gebe es die Möglichkeit, entweder nur das Brot zu nehmen oder in einer Gemeinde zu feiern, die Traubensaft anbietet.
Die Sorge, dass der Wein ganz aus der Abendmahlsfeier verschwindet, möchte Landeskirchenrat Vicco von Bülow durchaus ernst nehmen. „Wein ist nun einmal das, was wir durch die Geschichte der Christenheit hindurch mit diesem besonderen Ritual verbinden“, sagt der Theologie-Dezernent der westfälischen Landeskirche. Und genau wie Karad betont er, dass es nicht darum geht, etwas zu verbieten oder wegzunehmen: „Die Kirchenleitung will den Wein auf keinen Fall abschaffen, sondern einfach die geübte Praxis in Hinsicht auf die Verwendung von Traubensaft auf eine klare kirchenrechtliche Basis stellen.“
Was ist ewige Wahrheit, was Geschichte?
Dabei steht nicht die Frage im Vordergrund, ob die biblischen Berichte vom Abendmahl wirklich Wein im heutigen Sinn meinen oder vielleicht doch ein anderes Getränk aus Trauben. Dass Jesus mit seinen Jüngern Wein getrunken hat, bezweifelt von Bülow nicht, auch wenn in den entsprechenden Bibelstellen das Wort „Wein“ selbst nicht fällt; stattdessen ist vom „Kelch“ und vom „Gewächs des Weinstocks“ die Rede. „Aber mit den biblischen Abendmahlserzählungen ist es wie mit so vielen anderen Texten der Bibel: Wir müssen unterscheiden zwischen dem, was in der historischen Situation gegeben war und dem, was als ewige Wahrheit unveränderlich ist.“ Die Übertragung aus dem geschichtlichen Umfeld der Bibel in die Gegenwart müsse ja auch bei vielen anderen biblischen Themen geleistet werden.
Darum hält von Bülow es für richtig, dass die Kirchenordnung bei der Gestaltung des Abendmahls mit Traubensaft in Zukunft größere Freiheit lässt – und hofft gleichzeitig, dass das Abendmahl mit Wein trotzdem erhalten bleibt, als festliches Element einer feiernden Gemeinde. „Es gibt ja bereits jetzt eine ganze Reihe von liturgischen Möglichkeiten, mit Wein und Traubensaft parallel zu feiern“, betont er.
Manche Gemeinden bieten zwei verschiedene Kelche an; andere laden zu einem ersten Kreis mit Wein ein, dann mit Traubensaft. Für größere Ereignisse biete sich das Wandelabendmahl an, bei dem die Teilnehmenden nacheinander die Gaben entgegennehmen; dabei könnte eine Person Wein, eine andere Traubensaft bereithalten.
Wie auch immer die Landessynode entscheiden wird – Vicco von Bülow freut sich, dass die Frage nach Wein oder Kelch eine Diskussion angestoßen hat. „Viele Gemeinden haben das zum Anlass genommen, ihre Abendmahls-Liturgie genauer anzuschauen und zu fragen: Was machen wir das eigentlich, und warum?“, erzählt der Theologe. „Ich glaube, da ist durchaus etwas in Bewegung geraten.“