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80 Jahre Pippi Langstrumpf – ein Manuskript zum Geburtstag

Eines hatte Astrid Lindgren schon als Teenager beschlossen: “Niemals würde ich ein Buch schreiben”. Dass sie mit Pippi Langstrumpf einen Kinderbuchklassiker verfasste, geht nicht zuletzt auf einen Unfall zurück.

Ein krankes Kind und eine Mutter mit blühender Fantasie – dieser Kombination verdankt die Welt die kunterbunten Geschichten von Pippi Langstrumpf. Das Buch über das Mädchen mit den roten Zöpfen, das mit Äffchen, Pferd und einem Koffer voller Gold in der Villa Kunterbunt lebt, wird 80 Jahre alt – und zwar am 21. Mai, dem 90. Geburtstag von Astrid Lindgrens Tochter Karin Nyman. Denn für sie erfand die schwedische Schriftstellerin das Mädchen mit den Superkräften. Das Manuskript für das erfolgreiche Kinderbuch schenkte Astrid Lindgren ihrer Tochter 1944 zum zehnten Geburtstag.

Eigentlich, so erinnert sich Lindgren in ihrer Autobiografie “Das entschwundene Land”, habe sie nie Bücher schreiben wollen. Schon in ihrer Schulzeit sei ihr eine Schriftstellerkarriere prophezeit worden. “Das entsetzte mich derart, dass ich einen förmlichen Beschluss fasste: Niemals würde ich ein Buch schreiben.”

Doch dann, im Winter 1941, lag Tochter Karin krank im Bett. “Erzähl mir was von Pippi Langstrumpf”, bat sie ihre Mutter. Die ließ sich nicht lang bitten. Neugierig, frech, geradezu anarchisch – Pippi war alles andere als normal. Karin war begeistert. Möglicherweise wäre es bei den Erzählstunden geblieben, wenn Lindgren nicht einige Jahre später, im Winter 1944, selbst das Bett hätte hüten müssen. Da war “dieser Schnee, der die Straßen glitschig wie Schmierseife machte. Ich fiel hin, verstauchte mir den Fuß, musste liegen und hatte nichts zu tun. Was tut man da? Schreibt vielleicht ein Buch? Ich schrieb Pippi Langstrumpf.”

Im April 1944 reichte sie das Pippi-Manuskript beim schwedischen Verlag Bonnier ein. In ihrem Begleitschreiben skizzierte sie Pippi als “kleinen Übermenschen in Kindergestalt”. Dank ihrer übernatürlichen Kräfte sei Pippi vollkommen unabhängig von Erwachsenen und lebe ihr Leben so, wie es ihr gefalle, schrieb Lindgren. Ihr Brief endet humorvoll mit den Worten “in der Hoffnung, dass Sie nicht das Jugendamt alarmieren”. Im September erhielt sie die Absage.

In den folgenden Monaten haderte Lindgren damit. Dann, im Sommer 1945, schickte sie ein überarbeitetes Manuskript an den Stockholmer Verlag Raben & Sjörgen, bei dem bereits ihr Buch “Britt-Mari erleichtert ihr Herz” erschienen war. Im November 1945 erschien Pippi Langstrumpf.

Pippi wurde zu einem Erfolg – doch nicht jeder war begeistert. Pippi sei ein schlechtes Vorbild für Kinder, die Sprache teilweise vulgär, hieß es. Der schwedische Literaturkritiker und Pädagogik- und Psychologie-Professor John Landquist schrieb im “Aftonbladet”, kein “normales Kind isst eine ganze Sahnetorte auf oder geht barfuß auf Zucker. Beides erinnert an die Fantasie eines Irren.” Lindgren sei untalentiert und unkultiviert, Pippi unnormal und krankhaft. Das Buch erscheine ihm wie “etwas Unangenehmes, das an der Seele kratzt”.

In den vergangenen Jahren gab es erneut Kritik – an der aus heutiger Sicht rassistischen Wortwahl. So wird in den alten Auflagen von “Pippi in Taka-Tuka-Land” das N-Wort in Zusammenhang mit ihrem Vater benutzt. In den Neuauflagen ab 2009 taucht der Begriff nicht mehr auf – Pippis Papa ist nun der “Südseekönig.

Die Enkelin der Schriftstellerin, Annika Lindgren, betont, dass Astrid Lindgren niemals rassistisch gedacht habe. “Im Gegenteil, sie hat es verachtet, wenn Menschen Macht über andere missbraucht haben. Und sie hat sich immer bemüht, allen den gleichen Respekt entgegenzubringen – egal ob jemand ein Kind war, ein Taxifahrer oder eine Königin”, sagte sie “Zeit Online” im Interview. Zudem hätte sie “niemals etwas geschrieben, was ein Kind verletzen würde” – aus diesem Grund habe die Familie den Änderungen am Text zugestimmt. Grundsätzlich wolle man jedoch “so wenig wie möglich am Original verändern und Astrids Sprache erhalten. Deshalb streichen wir lieber ein Wort, eine Passage oder ganze Kapitel.”

Dennoch sei nicht auszuschließen, dass sich Menschen von der Darstellung kolonialer Stereotype in den Pippi-Langstrumpf-Büchern verletzt fühlten. “Und das können wir nicht ändern oder korrigieren, indem wir ein Wort streichen”, so Annika Lindgren. “Wer weiß, vielleicht werden die Pippi-Bücher irgendwann nicht mehr gelesen.”