In der wissenschaftlichen Ausgabe der Tagebücher des Münchner Kardinals Michael von Faulhaber (1869-1952) liegt der nächste Jahrgang online vor: Aus den Aufzeichnungen des Jahres 1923 geht laut Mitteilung der Herausgeber vom Mittwoch hervor, wie der Erzbischof zur Hassfigur nationalsozialistischer und völkischer Kreise wurde. Seine Aussagen hätten ihm dort den Ruf eines “Judenkardinals” eingebracht.
Der Jesuitenpater Rupert Mayer habe Faulhaber frühzeitig gewarnt: “Die nationalsozialistische Bewegung geht immer weiter: Haß gegen das Alte Testament, Haß gegen andere Völker, eine unerhörte Sprache gegen den Papst.” Andererseits habe Kronprinz Rupprecht von Bayern dem Erzbischof geraten, dass katholische Geistliche nicht gegen den Nationalsozialismus auftreten sollten.
Anfang November sei Faulhaber aus den Kulissen hervorgetreten und habe in seiner Allerseelenpredigt betont: “Mit blindem Haß gegen Juden und Katholiken … werden keine Wunden geheilt.” Ähnlich habe er sich in einem in der Presse veröffentlichten Schreiben an Reichskanzler Gustav Stresemann geäußert.
Der Hass seiner Gegner habe sich noch gesteigert, als das falsche Gerücht aufgekommen sei, Faulhaber zähle zu den Hauptverantwortlichen für das Scheitern des Hitler-Ludendorff-Putsches vom 8./9. November, schreiben die Forscher. Im Keller des Erzbischofs seien Scheiben eingeworfen worden, in seiner Post Schmähbriefe aufgetaucht.
Über einen Franziskanerpater sei er informiert worden, dass ein Redner bei einer Versammlung gefordert habe: “Die erste Kugel für Kahr, die zweite Kugel für Faulhaber.” Daraufhin sei der Kardinal vielfach gebeten worden, wegen der persönlichen Bedrohungen München für eine Zeit zu verlassen. Faulhaber sei aber in München geblieben.
Mit Kahr ist der damalige bayerische Generalstaatskommissar Ritter Gustav von Kahr (1862-1934) gemeint. Dieser verfolgte damals eigene Pläne für die Errichtung einer Diktatur und sagte sich von der Reichsregierung in Berlin los. Dabei hoffte er zunächst Adolf Hitler, dessen Putschabsichten er kannte, auf seine Seite zu ziehen. Dann aber ging von Kahr zu Hitler auf Distanz und schlug dessen Umsturzversuch gewaltsam nieder. Am 30. Juni 1934 wurde der rechtskonservative Politiker, Antikommunist und Gegner der Weimarer Republik von SS-Angehörigen bei Dachau ermordet.
Die kritische Edition der Faulhaber-Tagebücher ist ein 2015 begonnenes interdisziplinäres Langzeit-Projekt von Historikern, Theologen und Informatikern. Mittlerweile sind mehr als 7.900 Einträge online. Sie verteilen sich auf 31 der insgesamt 42 Jahre des Editionszeitraums (1911-1952). Es fehlen noch mehrheitlich die 1920-er Jahre sowie alles ab 1950.