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100-Tage-Bilanz: Verbände fordern mehr Engagement für soziale Belange

Die Schonfrist für die Regierung läuft nach 100 Tagen endgültig ab. Auch die katholische Kirche sieht auf einigen Politikfeldern Verbesserungsbedarf.

Nach 100 Tagen im Amt erhält die Bundesregierung von katholischer Seite teils Zustimmung, aber auch Kritik. “Dass wir als Kirchen die Migrationswende kritisch sehen, verwundert nicht, auch die Kürzungen bei der Entwicklungszusammenarbeit halten wir für falsch”, sagte der Leiter des Katholischen Büros in Berlin, Prälat Karl Jüsten, in einer Umfrage von Table.Media (Mittwoch). Auch in der Klima- und Umweltpolitik “müssen wir viel ambitionierter werden”. Sozialverbände beklagen ein mangelndes Engagement in sozialen Fragen.

Ihn habe bei der Vereidigung des Kabinetts Anfang Mai beeindruckt, dass viele der neuen Regierungsmitglieder die Eidesformel mit dem Zusatz “So wahr mir Gott helfe” gesprochen hätten. “Daraus spricht Demut und Zuversicht”, sagte Jüsten. Nun sei bei manchem der Anfang gemacht, “und zahlreiche Gesetze werden im Herbst in den Bundestag eingebracht”.

Das Katholische Büro in Berlin fungiert als Verbindungsstelle der Deutschen Bischofskonferenz zur Bundesregierung und nach Brüssel. Seit dem Jahr 2000 wird es von Jüsten geleitet.

Unterdessen beklagten Caritas und Diakonie, bei drängenden sozialen Herausforderungen habe sich zu wenig getan. Im Vergleich zur Außenpolitik sei hier der Gestaltungsanspruch wenig spürbar, kritisierte Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa auf Anfrage in Berlin. Die demografischen Risiken, die Klimasozialpolitik und die Corona-Folgen erforderten den gleichen politischen Willen und die gleiche Modernisierungskraft.

Die Zivilgesellschaft finde etwa beim Zukunftspakt Pflege oder bei der Verausgabung des Sondervermögens “nur sehr zögerlich Berücksichtigung”. Für die energetische Sanierung sozialer Einrichtungen und für die Digitalisierung wichtiger Hilfsangebote gebe es zu wenige Mittel, bemängelte die Caritas-Präsidentin.

Eine besonders große Sorge bereiten der Caritas demnach die bisherigen Pläne zur Reform der Wehrpflicht. Ziel der Bundesregierung müsse es sein, Bundeswehr, Zivil- und Bevölkerungsschutz sowie soziale Einrichtungen für Krisen und Katastrophen gut aufzustellen. Der Entwurf des entsprechenden Gesetzes atme jedoch einen anderen Geist und sei handwerklich enttäuschend. Das Gesetz enthalte auch keine konkreten Ziele, wie viele junge Menschen in den nächsten zwei Jahren für den freiwilligen Dienst in der Bundeswehr oder in einem anderen Freiwilligendienst gewonnen werden sollen.

Der Präsident der Diakonie Deutschland, Rüdiger Schuch, betonte, dass “der Kanzler die soziale Arbeit zu sehr als Kostenfaktor sieht. Im Interview der “Augsburger Allgemeinen” warnte er vor einer Gefährdung des sozialen Friedens. Schuch sagte, er habe immer stärker das Gefühl, dass die Regierung den Sozialstaat nur als Problem wahrnehme. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) sehe “zu wenig, dass Menschen, die im Bürgergeld gefördert werden und auf den ersten Arbeitsmarkt kommen, ihr Leben wieder eigenständig gestalten können und einen wichtigen Beitrag für diese Gesellschaft leisten.” Ähnliches gelte für die Eingliederungshilfe.

Die Vorstandsvorsitzende des Sozialverbands Deutschlands, Michaela Engelmeier, warf der Regierung vor, mit der Stromsteuer die Wirtschaft, aber nicht private Haushalte zu entlasten. Zugleich drohe CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann “mit einem heißen Herbst der schmerzhaften Reformen”, sagte sie der Zeitung. Das seien Mosaiksteinchen, “die Millionen Menschen eher beunruhigen und zudem die Spaltung der Gesellschaft befeuern, vielleicht sogar die Demokratie gefährden”.

Die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, beklagte, dass das Thema Rente nicht kraftvoll angegangen werde. Statt zu betonen, wie wichtig ein gut funktionierender Sozialstaat für den demokratischen Zusammenhalt sei, werde teilweise faktenfrei über Einsparungen und Kosten lamentiert. Ein starkes Bekenntnis zu einem leistungsfähigen und gerechten Sozialstaat sei bisher ausgeblieben. Ältere, schwerbehinderte Personen oder Menschen mit Mobilitätseinschränkungen blieben weiterhin von wirklicher Teilhabe ausgeschlossen.

Positiv sei, dass das Rentenniveau zunächst abgesichert sei, die Mütterrente ausgeweitet und die Mietpreisbremse bis 2029 verlängert worden sei.