Vor zwei Wochen ist Papst Franziskus gestorben, am Ostermontag. Seither beraten die Kardinäle in formalen und in informellen Treffen über die Lage der Kirche – und suchen ein Anforderungsprofil für den neuen Papst.
Im Vatikan gehen die Versammlungen der Kardinäle vor der Papstwahl in die entscheidende Phase. Nur noch zwei Tage haben sie nun Zeit, das Anforderungsprofil für das neue Kirchenoberhaupt zu definieren und den zu erkennen, der es erfüllen könnte. Danach ziehen die unter 80-Jährigen in die Sixtinische Kapelle, um ihn zu wählen.
Bis dahin haben auch die ganz Alten noch ein Wort mitzureden. Einer von ihnen, der deutsche Kardinal Walter Kasper (92), wurde am Sonntag mit der Einschätzung zitiert, noch keine Rede im Kollegium habe den Ausschlag gegeben. Die Stellungnahmen seien “sowohl in die eine wie in die andere Richtung gegangen”.
Die beiden “Richtungen”, die der erfahrene Konklave-Teilnehmer anspricht, sind nicht mit dem gängigen Begriffspaar “Konservative gegen Reformer” zu fassen. Sie entpuppen sich bei näherem Hinsehen als ein komplexer Parcours mit mindestens drei Wegkreuzungen. Und gesucht wird offenbar ein Mann, der die Kirche an jeder dieser Wegscheiden idealerweise in beide Richtungen gleichzeitig führen kann.
Die wichtigste Frage ist die, ob die Kirche einen “zweiten Franziskus” braucht – also einen Papst, der durch seine Zuwendung zu den Schwächsten, den Ausgegrenzten und zu den anders oder gar nicht Glaubenden viele Herzen auch außerhalb der Kirche gewonnen hat. Oder ob sie, wie der deutsche Kardinal Gerhard Ludwig Müller (77) betont, nach dem “Papst der Barmherzigkeit” jetzt wieder einen “Kirchenlehrer” braucht, der ihre Dogmen (und auch die Abgrenzung von irrigen Lehren und unmoralischen Verhaltensweisen) neu in Erinnerung ruft.
Der Kandidat, der beides verbinden könnte, ist bislang offenbar noch nicht hervorgetreten. Auch bei den Predigten, die viele Kardinäle am Sonntag in ihren Titelkirchen in Rom hielten, kam es noch nicht zum Durchbruch – auch wenn das theologisch ausgefeilte Plädoyer des französischen Kardinals Jean-Marc Aveline (66) für eine neue Theologie der göttlichen Liebe vielleicht wegweisende Anhaltspunkte enthielt.
Ähnlich herausfordernd ist die zweite Wegscheide: Braucht die Kirche abermals einen Papst, der durch sein Charisma unmittelbar Menschen gewinnt – oder würde ihr ein Papst besser tun, der sich wieder stärker auf Institutionen, Dogmen und das Recht stützt? Nach dem charismatischen, oft aber auch populistisch und wenig rechtssicher agierenden Papst aus Argentinien gibt es Stimmen, die sich wieder geordnetere und rechtlich klare Verhältnissen in der Kirche wünschen.
Auch aus der vatikanischen Diplomatie ist das zu hören – verbunden mit dem Wunsch nach einem Papst, der nicht alles in spontanen Interviews zu regeln versucht, sondern sich auf seine Berufsdiplomaten und deren Expertise verlässt. Für sie wäre Kardinal Pietro Parolin (70) der richtige Mann – allerdings fehlt es ihm nach Meinung vieler an persönlicher Ausstrahlung.
Zu den offenen Wunden des Franziskus-Pontifikats zählen Fälle von geistlichem sowie sexuellem Missbrauch, in denen der Papst offenbar Gnade vor Recht ergehen ließ. Dass es der Kirche auf die Füße fällt, wenn ein Papst bei einem Finanzskandal am Ende offen lässt, ob der Hauptbeschuldigte seiner Kardinalswürde enthoben wurde oder vielleicht doch nicht – das spürten die Kardinäle sogar bis ins Vorkonklave hinein, als der “Fall Becciu” die Debatten lähmte. Ein Papst, der beides hat – überbordendes persönliches Charisma und eine glasklare Bindung an rechtliche Normen und Prozeduren – steht weiter auf der offenen Wunschliste der in Rom beratenden Kardinäle.
Eine dritte Weggabelung ergibt sich aus der Frage, wie die Verfassung der katholischen Kirche künftig aussehen wird. Soll es, wie von Franziskus angestoßen, künftig mehr Mitbestimmung durch “das Volk Gottes” geben? Im Kirchenjargon nennt man das “mehr Synodalität”; und die ist schwer zu vereinbaren mit dem Top-Down-Pyramiden-Aufbau, der die katholische Kirche lange auszeichnete.
Franziskus hat die Verfassung am Ende seiner Amtszeit drastisch verändert – etwa, indem er erstmals in 2.000 Jahren Frauen Stimmrecht bei Bischofssynoden gab. Und das, obwohl die Bischofssynode eigentlich das Gremium war, in dem das “Kollegium der Apostelnachfolger”, also der Bischöfe, gemeinsam mit dem Papst berät. In den Reden des Vorkonklaves wurde nun von manchen gefordert, die Synodalität mutig weiterzuentwickeln. Andere forderten mehr theologische und kirchenrechtliche Klarheit zum Verhältnis von Synodalität und Bischofsamt.