Kirche? Bismarck? Anderthalb Jahrhunderte ist es her, dass der „Kulturkampf“ zwischen Staat und Kirche sich in schwindlige Höhen aufschaukelte. Das ist weitgehend in Vergessenheit geraten. Umso wichtiger, daran zu erinnern. Denn das, was damals passierte, ist aktuell. Die Fragen, die sich daraus ergeben, lassen ahnen, was in Zukunft noch auf die Kirche zukommen könnte.
Die Kurzfassung, was vor 150 Jahren im Deutschen Reich geschah: Der Staat beschneidet Zuständigkeit und finanzielle Unterstützung der Kirche – und versucht, ihren Einfluss einzuschränken. Ganz so krass ist die Situation heute nicht. Noch nicht. Die Ausgangslage war ja damals auch eine ganz andere: Die Kirche galt als rückwärtsgewandt, antimodern. Große Teile der Gesellschaft dagegen sahen sich als liberal, wollten Fortschritt und gesellschaftliche Öffnung.
Sollten sich Kirchen aus dem „politischen Geschäft“ heraushalten?
Heute sind die Verhältnisse genau andersherum: Immer größere Teile der Bevölkerung verweigern sich der gesellschaftlichen Entwicklung, verharren in der Sehnsucht nach der guten alten Zeit. Ob Migration, Unzufriedenheit mit der Politik, Renten, Arbeitslöhne, Klimawandel, EU – früher war angeblich alles besser. Die Kirche dagegen steht klar auf der anderen Seite: Gemessen an ihren öffentlichen Äußerungen gehören evangelische, in vielen Punkten auch die katholische Kirche zur liberalen Elite des Landes.
Gottlob waren die ins Gestern verliebten Kräfte bisher nicht stark genug, um die Politik grundlegend zu bestimmen. Aber falls sie weiter wachsen, falls sie noch mehr Einfluss gewinnen, würden auch die Kirchen verstärkt ins Visier geraten. Sie sind als Gegenspieler längst auf der Abschuss-Liste. Erkennbar etwa im brandenburgischen Jüterbog, wo der AfD-Bürgermeister massiv gegen eine Pfarrerin und einen Pfarrer der Gemeinde hetzt. Oder an der Forderung von AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel, Kirchen sollten sich aus dem „politischen Geschäft“ heraushalten.
Welche Rolle wird Kirche in Zukunft spielen?
Welcher Gegenwind kommt da auf die Kirche zu? Welchen Raum wird sie künftig in der Öffentlichkeit noch haben? Wie muss Kirche reden, auf welche Argumente kann sie sich stützen, wenn sie sich auftragsgemäß zu Wort meldet, sich aber immer weniger Menschen auf „Gottes Wort“, „Bibel“ oder „christliches Menschenbild“ einlassen wollen? Da muss die Kirche weiterdenken. Denn Bismarck ist Geschichte. Aber ein erneuter Kulturkampf ist längst im Gang.