Mit der “Landshuter Zeitung” begann 1849 eine bis heute gepflegte Familientradition. Der Straubinger Verlagschef Martin Balle polarisiert mit seinen Leitartikeln und vermisst das christliche Herz in der Politik.
Seit 175 Jahren verlegt eine Familie in Niederbayern Lokalzeitungen. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) sprach mit Verlagschef Martin Balle (60) über die Zukunft dieses Medientyps und auch eine Besonderheit seines Betriebs: die verlagseigene Hauskapelle.
KNA: Professor Balle, Sie gehören einer Familie an, die seit 1849 Zeitungen verlegt. Haben Regionalblätter Zukunft in einer digitalen Welt?
Balle: Mehr denn je, gerade wegen der Globalisierung. Je stärker die wird, umso wichtiger werden die Heimaträume. Die Leute schätzen, dass es eine gedruckte Heimatzeitung gibt. Sie hilft bei der Bindung an die Region. Das spüren wir gerade auch bei jungen Familien. Das Internet dagegen, wohin manches wandert, hat ja gesellschaftlich problematische Tendenzen, weil es Anonymität und Fremdheit fördert.
KNA: Wie kaum ein anderer Verleger greifen Sie regelmäßig selbst zur Feder. Loben in Leitartikeln Sahra Wagenknecht. Kritisieren hemmungslose Aufrüstung. Verteidigen die Pflichtberatung vor einer Abtreibung. Bekommen Sie dazu Leserbriefe?
Balle: Ich bekomme positive, aber auch bösartige Briefe. Das ist gar nicht so schlecht. Wenn ich sehr beschimpft werde, was vorkommt, rückt das mein Idealbild vom anderen Menschen zurecht und macht einer realistischen Sicht Platz.
KNA: Anlässlich des katholischen Weltjugendtags in Lissabon beklagten Sie vergangenen Sommer ein Verschwinden des Christentums aus der politischen Debatte hierzulande. Wo macht sich das am stärksten bemerkbar?
Balle: Bei der Militarisierung unserer Sprache. Ich habe nachgelesen, was Helmut Schmidt 1968 nach dem von sowjetischen Panzern beendeten Prager Frühling gesagt hat: Wir schlagen nicht zurück, wir zündeln nicht, wir bleiben bei unserer Politik der Entspannung. Da gab es noch ein Bewusstsein dafür, dass eine kultivierte Gesellschaft bestimmte Dinge aushalten muss. Natürlich ist der Überfall Russlands auf die Ukraine schrecklich. Aber das Christentum macht aus, dass man jeden Tag neu aufsteht und sagt: Was können wir tun, damit die Welt friedlicher wird? Mir fehlt das christliche Herz in der Politik. Da gibt es wenige, bei denen man spürt, die sind noch getragen von einem echten Glauben.
KNA: Ihr Verlag hat etwas, was es so in Deutschland woanders nicht geben dürfte: eine eigene Hauskapelle. Was hat es mit ihr auf sich?
Balle: Die Hauskapelle stammt aus dem 17. Jahrhundert. Um sie herum hat mein Urgroßvater 1927 das neue Verlagsgebäude in Straubing bauen lassen. Dafür wurde sie auf vier Eisenpfosten gestützt, damit sie nicht einstürzt. So ist die Kapelle das Herz des Hauses geblieben. Besuchergruppen kommen, um den schönen italienischen Stuck zu bewundern. Wir nutzen den Raum für Klassentreffen oder machen mit dem Rotary Club dort was zu Weihnachten. Es gibt da nicht jeden Sonntag eine Messe, aber von dort strahlt der christliche Geist auf unser Haus aus. Das ist ganz wichtig.
KNA: Stimmt es, dass Sie in der Kapelle getauft wurden?
Balle: Ja.
KNA: Sie sind dem vor zehn Jahren verstorbenen Religionsphilosophen Eugen Biser eng verbunden. Was verdanken Sie ihm?
Balle: Die Einsicht, dass nicht wir Gott ansprechen, sondern Gott spricht uns an. Wenn er das tut, dann verwandeln wir uns in unserer Seele und werden zum Beispiel friedensfähig. Eugen Biser hat den Zweiten Weltkrieg erlebt und war ein radikaler Pazifist. Er hat immer gesagt, man muss den anderen in Toleranz annehmen, und wenn das noch so schwierig ist. Nur im Notfall darf man zur Waffe greifen. In dieser Lage sind wir in Deutschland nicht. Wir liefern ständig Raketen, machen alles schlimmer, haben eine riesige Brandwunde am Rande Europas. Dem hätte Eugen Biser massiv widersprochen.
KNA: Und was bedeutet Ihnen die Münchner Jesuitenhochschule?
Balle: Dort wirkt dieser Impuls einer christlichen Philosophie, für die Eugen Biser stand, fort. Da gibt es wunderbare Dozenten. Also wenn das Herz eines geistigen Christentums irgendwo heiß glüht, dann an der Hochschule für Philosophie in München bei den Jesuiten. Jedes Jahr spende ich mit meiner Mutter und dem ehemaligen Bertelsmann-Vorstand Ulrich Wechsler Geld für einen Lehrstuhl dort, das werden wir auch weiter tun. An der Hochschule trifft sich die intellektuelle Szene Bayerns.
KNA: Ihr Blatt galt einmal als Organ des politischen Katholizismus. Wie wirkt sich diese Tradition auf die heutige Redaktionslinie aus?
Balle: Immer noch kündigen wir am Wochenende jeden einzelnen Gottesdienst an. Zu den großen Feiertagen an Weihnachten, Ostern und Pfingsten schreibt ein Bischof, ein Pater oder auch eine Äbtissin dazu die Geschichte. Das wird sehr gelesen. Es geht um die christliche Grundhaltung der Nächstenliebe. Ein Lokalblatt zu machen, heißt, im regionalen Raum Nächstenliebe mit zu veranstalten.
KNA: Seit sechs Generationen verlegt Ihre Familie Zeitungen. Wird das auch in der siebten noch so sein?