Nach 30 Jahren geht Wolfgang Stumphs Stubbe endgültig in Rente – anders als sein Darsteller. Ein Gespräch mit dem 79-jährigen über Sehnsüchte nach früher, Unruhe von heute und seinen Hang zum Stumph-Sinn.
30 Jahre lang spielte der Schauspieler Wolfgang Stumph für das ZDF den Ermittler Wilfried Stubbe. Am Samstag steht nun der letzte Fall an. An Ruhestand denkt Stumph aber noch lange nicht, berichtet er im Interview der Katholischen-Nachrichten-Agentur (KNA).
Frage: Herr Stumph, wenn Sie vor 30 Jahren geahnt hätten, dass Wilfried Stubbe erst 2025 seinen letzten Fall löst, welchen Abgang hätten Sie sich da gewünscht: Knalleffekt im Morgengrauen oder Tanz ins Abendrot?
Antwort: Letzteres, unbedingt letzteres. Als Cliff fürs Publikum, um Stubbe, seine Tochter, ihr Kind, die Familie und den Stumph-Sinn der Reihe mitzunehmen.
Frage: Stumph-Sinn mit ph, nicht pf.
Antwort: Er bezeichnet die Familie als Mittelpunkt von allem und die Vermittlung zwischen hüben und drüben, von Dresden die Elbe hoch nach Hamburg als Achse, die alles verbindet. Das ging ja bereits mit der ersten Folge los, als der Kriminalist Stubbe als Leihbeamter in den Westen ging, wo seine Frau ein Haus geerbt hatte.
Frage: Meistens lief das damals umgekehrt…
Antwort: Mit dem Strom der Elbe hoch gegen den Strom der Zeit und wieder zurück – das war immer mein ganzes Streben. Als humanistischer Kabarettist ging es mir schon 1991 bei “Go Trabi Go” oder zwei Jahre später im “Salto Postale” als sächsischer Postbeamter Stankoweit in Brandenburg, also keine Science-Fiction, sondern Versöhnung am Boden der Tatsachen. Sitcom im Zeitgeist des Hier und Heute.
Frage: Haben Sie dennoch manchmal Sehnsucht nach damals?
Antwort: Ach, Sehnsucht… nach was?
Frage: Der Einfachheit vieler Dinge zum Beispiel. Im letzten Stubbe streicheln Sie über eine uralte Schreibmaschine “ohne elektronischen Mumpitz”. Klingt ziemlich nostalgisch.
Antwort: Diese Nostalgie steckt ja mitten in der Gegenwart. Aber natürlich gibt es eine Sehnsucht nach der Harmonie und dem Zusammenhalt von früher. Denn nur er hat die Kraft zur Veränderung. Wir können es nur gemeinsam schaffen, etwas verändern…
Frage: Und dabei positiv auf alte Zeiten zurückblicken, ohne sie zu verklären?
Antwort: Genau. Ich kann natürlich erzählen, dass ein Schauspieler bei mir schon im Jugendclub mein Interesse an Theater geweckt und mich auf die Bühne gebracht hatte, schön und gut. Das habe ich als Kind ohne Vater mit aufopferungsvoller Mutter gelernt, die mich in den 50ern dazu erzogen hat, mit offenen Augen durchs Leben zu gehen. Aber da passiert es schnell, dass Jüngere abwinken und sagen, jetzt spricht der Opa wieder von damals (lacht).
Frage: Und wenn Sie es jetzt doch einmal tun?
Antwort: Hatte ich an den richtigen Stellen zur richtigen Zeit das Glück, richtige Entscheidungen zu treffen. Beim Gedanken an früher habe ich besonders im Hinblick auf Beruf und Familie also ein warmes Gefühl. Gerade deshalb benötigt man aber ein wenig Selbstkontrolle, um es beim Erinnern mit der Temperatur nicht zu übertreiben und Fehler einzugestehen, die man natürlich gemacht hat. Irren ist ja nicht nur menschlich, sondern notwendig. Niemand macht immer alles richtig – das zu erkennen, bewahrt einen davor, in Herrlichkeit zu scheitern.
Frage: Überwiegen bei Ihnen denn richtige oder falsche Entscheidungen?
Antwort: Ich hoffe doch, ersteres. Sonst würde ich mich hier nicht mit Ihnen in der Sächsischen Vertretung in Berlin über die letzte Folge Stubbe nach 30 Jahren unterhalten.
Frage: Können Sie sich noch an Stubbes ersten Satz erinnern, den er 1995 nach seinem Umzug in Hamburg sagte?
Antwort: Hmmm. “Der Himmel ist der gleiche Himmel”?
Frage: Fast. Auf die Frage seiner Frau, was Stubbe denn noch in Dresden wolle, sagt er: “Ruhe, zuallererst Ruhe”. War das im Grunde genommen die Essenz von dem, was Ihre Figur in mittlerweile 54 Filmen kennzeichnen würde?
Antwort: Vermutlich schon und jetzt erst recht. Ich dachte häufiger, wenn wir wieder mal aktuelle gesellschaftspolitische Themen wie Rechtsradikalismus oder familiäre Gewalt in der Serie verarbeitet haben, das reicht jetzt aber auch mal. Später, als ich angefangen habe, Dokumentarfilme zu machen, habe ich dann ja wieder über den Tellerrand der Unterhaltung geblickt und wertvolle Erkenntnisse gewonnen.
Frage: Welche zum Beispiel?
Antwort: Mein Stumph-Sinn hat doch eine gesamtdeutsche Sicht in meiner Arbeit. Als ich vor drei Jahren die fünfteilige Dokumentarreihe “ZusammenHalten” für den MDR gedreht hatte, bin ich deshalb persönlich zum NDR gegangen und habe dort gefragt, warum sie denn am 3. Oktober nicht auch dort laufen könnte.
Frage: Und?
Antwort: Hat funktioniert! Das hat mir Freude gemacht. Positiv zu provozieren, gegen den Mainstream zu schwimmen.
Frage: Bisschen dickköpfig zu sein…
Antwort: Ja, ich bin schon ein bisschen unbequem. Nur wer aneckt, bringt etwas in Bewegung.
Frage: Als wir vor 18 Jahren über den Film “Heimweh nach drüben” geredet haben, meinten Sie, eine Klette zu sein und penetrant treu. Woran kleben Sie heute?
Antwort: An meiner Moral und Menschen, mit denen ich zu tun hatte. Der Regisseur Peter Kahane zum Beispiel, mit dem ich 2006 “Eine Liebe in Königsberg” gedreht habe und über 35 Stubbe. Wir arbeiten zwar längst nicht mehr zusammen, haben aber noch immer regelmäßig Kontakt. Das Gleiche gilt für Achim Wolff, lange Zeit mein Partner im “Salto Postale”, oder viele Kollegen aus der aktiven Kabarettzeit. Dabei ist nicht wichtig, wie man beruflich voneinander profitiert. Man wird mich so leicht nicht los.
Frage: Gilt das auch fürs Fernsehen oder tritt Wolfgang Stumph gemeinsam mit Wilfried Stubbe von der Bühne?
Antwort: Nee, ich freue mich zum Beispiel schon jetzt auf die nächste Spielzeit in der Semperoper, wo ich in der kommenden Spielzeit zum 120. Mal den Gefängniswärter Frosch in der “Fledermaus” spielen darf.
Frage: Können Sie sich auch noch eine neue Krimi-Reihe vorstellen?
Antwort: Das nicht. Vielleicht gibt es noch ein paar für mich wichtige Rollen. Gern ernste Themen mit Humor, die Treuhandaffäre als Komödie zum Beispiel oder das Wärmepumpen-Drama. Uns den Spiegel vorzuhalten, macht mir halt immer noch großen Spaß. Ich habe bestimmt noch einiges mitzuteilen.
Frage: Klingt eher nach Unruhestand als Ruhestand.
Antwort: Genau. Wobei ich mich schon etwas zurücknehmen werde. Ich will zum Beispiel nicht mehr wie früher Co-Produzent meiner eigenen Filme sein, sondern einfach nur meinen Beruf ausüben, meinen persönlichen Anteil für einen Film leisten, ins Glied eines Ensembles zurücktreten. Familie genießen.
Frage: Das zweieinhalbjährige Kind ihrer Kollegin und Tochter Stephanie.