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„Wir läuten auch für Luther“

Im St. Barbara-Zentrum in Herten sind im Jahr des 500. Reformationsjubiläums besondere Gottesdienste geplant. In der Kirche für zwei Konfessionen beten und feiern katholische und evangelische Gemeinde unter einem Dach. Seit fast zehn Jahren

Sonntags läuten die Glocken der St. Barbara-Kirche auf dem kleinen Paschenberg in Herten meist doppelt und klingen doch unterschiedlich: Einmal rufen sie um 9 Uhr zur katholischen Messe, zwei Stunden später zum evangelischen Gottesdienst. Der ein oder andere will dann sogar die Klänge der ehemaligen Lutherkirche heraushören.
„Wir läuten auch für Luther“, sagt der Katholik Rolf Rörig, der sich seit vielen Jahren ehrenamtlich zusammen mit seiner Ehefrau Elisabeth im Barbara-Zentrum ökumenisch engagiert. Dabei blickt er hinauf auf den Glockenturm der früheren Barbara-Kirche, der vier Glocken hat.
Im Hertener Norden ist vor fast zehn Jahren eine Kirche für zwei Konfessionen neu entstanden. Beide ehemalige Gemeinden beten und feiern heute unter einem Dach – ihre ehemaligen Gotteshäuser gibt es so nicht mehr. Das volle Glockengeläut ertönt immer wieder zu ökumenischen Gottesdiensten. Sie finden mehrmals im Jahr statt und müssen beim Bistum Münster angemeldet werden, denn die katholische Messe fällt dann aus.
Die neue Barbara-Kirche ist modern und schlicht zugleich. Katholiken und Protestanten planten sie von Anfang an gemeinsam: Zuvor bereits arbeiteten die beiden Gemeinden eng zusammen, halfen sich gegenseitig. Die Lutherkirche wurde für die katholischen Nachbarn zur Herberge, als ihre frühere Kirche abgerissen und ein neues Kirchenzen­trum mit Altenheim und Café im nahen Umkreis von Kindergarten sowie Realschule gebaut wurde. Heute hat die evangelische Gemeinde in dem Gotteshaus ein dauerhaftes Gastrecht. Auch sie musste ihre ehemalige Lutherkirche aufgeben.
In St. Barbara liegen auf den Kirchenbänken das katholische Gotteslob und das Evangelische Gesangbuch nebeneinander. Es gibt dort aber noch mehr Zeichen gelebter Ökumene: Der Altar ist mit einem evangelischen Parament (Altartuch) bedeckt, das im Laufe des Kirchenjahres immer wieder gewechselt wird. Auf einem ehemaligen Kerzenhalter der Lutherkirche stehen die selbst gestalteten Lichter von Konfirmanden. Zudem gibt es einen Abschiedsraum für die Verstorbenen aus beiden Gemeinden. Und Menschen beider Konfessionen freuen sich, dass sie in der Kirche Kerzen anzünden können. „Das habe ich bei uns schon immer vermisst“, gesteht Andrea Kuhn ein. Sie ist als Presbyterin in der Luthergemeinde aktiv, beruflich arbeitet sie als Altenbetreuerin beim Caritasverband.
Katholische und evangelische Christen in Herten sind in einer Kirche vereint – das Abendmahl können sie aber nicht gemeinsam feiern. Zum „Brotkreis“ versammeln sich die Gemeinden zu Ostern bei einer ökumenischen Auferstehungsfeier, bei der Fladenbrot verteilt wird. „Es ist keine Eucharistiefeier, es werden keine Einsetzungsworte gesprochen“, erklären Pfarrerin Ulrike Baldermann und Dechant Norbert Mertens. Beide gestalten die Ökumene vor Ort aber gemeinsam auf praktische Weise. Bei allen Gemeinsamkeiten machen sie sich und ihren Gemeinden aber auch die Unterschiede immer wieder bewusst. „Das stärkt uns gegenseitig als Geschwister im Glauben“, sagt die evangelische Theologin Baldermann.
Aus dem Bewusstsein zweier Traditionen gemeinsam Gottesdienste zu feiern, sei immer eine Herausforderung, „dabei können wir aus zwei Quellen schöpfen“, ergänzt Mertens. Das fange bei den Liedern an und reiche bis zur Interpretation von Texten. „Bei allen Unterschieden können wir Schätze neu entdecken“, wissen die beiden Theologen.
Mertens versteht das Zentrum als einen Ort, „wo wir ökumenische Maßstäbe setzen wollen, um gemeinsam Leben zu gestalten“. Ein nicht immer leichtes Unterfangen. Wichtig dabei sei es, Verfehlungen in 500 Jahren Reformationsgeschichte klar zu benennen. Reformation ökumenisch zu feiern, ist für Baldermann und Mertens kein Wunschdenken, sondern gelebter Alltag in ihren Gemeinden. Für die Zukunft wünschen sie sich, dass Christen beider Konfessionen einander und für andere zum Segen werden. Manche Grenzen müssen dabei im Herzen noch überwunden werden.