Eine Stärkung von Hospizdiensten und Palliativmedizin wird immer wieder gefordert – angesichts der Debatten um Sterbehilfe. Eine Ergänzung kann ein weiteres Angebot bieten: speziell ausgebildete Sterbeammen.
Viele Menschen wünschen sich, in den eigenen vier Wänden zu sterben – nur drei Prozent nannten in einer Studie des Deutschen Hospiz- und Palliativverbandes vom vergangenen Herbst das Krankenhaus als Wunschort. Zugleich gab über die Hälfte (57 Prozent) der Befragten an, dass ein ihnen nahe stehender Mensch im Krankenhaus oder einem Pflegeheim gestorben sei.
Diese Diskrepanz zwischen Wunsch und Realität dürfte auch darin begründet liegen, dass viele Angehörige nicht wissen, was zu tun ist, wenn die Oma oder der Lebenspartner zum Sterben nach Hause kommt. Das vermutet Karin Simon: Sie ist ausgebildete Krankenschwester, Heilpraktikerin für Psychotherapie, Sterbe- und Traueramme. Dass es letztere gibt, wissen viele Menschen nach ihrer Erfahrung nicht.
Das Portal bietet eine Kontaktliste für Sterbeammen und Sterbegefährten, so das männliche Pendant. Zertifizierte Kräfte finden sich von Flensburg bis Ingolstadt, vereinzelt auch in der Schweiz, Polen und Schweden. Wenn Karin Simon angerufen wird, fährt sie zu der betroffenen Familie oder Person – “und wir schauen gemeinsam, was ich tun kann”. In der zweijährigen Ausbildung erhalten die Sterbeammen einen “großen Werkzeugkoffer”. Neben praktischer Unterstützung geht es vor allem um seelischen Beistand.
Entstanden ist das Angebot vor über 20 Jahren: Der Tod ihrer ältesten Tochter warf für die Heilpraktikerin Claudia Cardinal ungeahnte Fragen auf, wie sie selbst schreibt. Inzwischen hat Cardinal mehrere Bücher geschrieben und bildet in moderner Sterbeheilkunde aus. Simon zieht eine Parallele zur Geburtsheilkunde: “Eine Sterbeamme ist im Prinzip nichts anderes als eine Hebamme. Die Hebamme bringt einen Menschen auf die Welt, die Sterbeamme bringt einen Menschen hinüber – in ein neues Leben, wie ich glaube.”
In ihrem aktuellen Buch gibt Simon einen Einblick in das, was Religion, Philosophie und Medizin über das Sterben wissen – vor allem aber schildert sie zahlreiche Situationen des Abschieds, des Loslassens, auch der Trauer. Das Ziel, das die Frau mit dem wuscheligen Kurzhaarschnitt und dem bayerisch-fröhlichen Zungenschlag damit verfolgt, ist kein Kleines: Das Sterben, sagt sie, müsse wieder eine Normalität werden. Den Tod zu verdrängen, sei nicht hilfreich – vielmehr könne man ihn zu einem “Verbündeten, vielleicht sogar zu einem Kumpel machen”.
Der Tod als Kumpel? Was für viele irritierend, vielleicht sogar zynisch klingen mag, ist für Simon Programm – auch auf der Bühne. Mit ihrem Kabarett “Zum Sterben schön” tritt sie bundesweit auf. Wenn man sich mit dem Tod beschäftige, “wachsen die Fähigkeiten zu Glück und Liebe”, schreibt sie. “Wir nehmen das Schöne dann nämlich nicht mehr selbstverständlich, sondern sind uns bewusst darüber, dass es ganz schnell vorbei sein kann.”
Auch die Kirchen könnten laut Simon dazu beitragen, den Umgang mit Sterbenden und die Gesprächskultur über den Tod zu verändern. “Eine Gemeinschaft kann den Einzelnen stärken und tragen”, betont sie. Wichtig wäre der evangelisch aufgewachsenen Autorin, “dass sich die Kirche ein bisschen ändern würde, dass weniger von Schuld und Sühne die Rede wäre”.
Als Sterbeamme hat sie viele Abschiede begleitet, als Trauerrednerin auch aktiv mitgestaltet. “Wenn man einmal miterlebt hat, wie ein Mensch stirbt, dann verändert sich etwas”, sagt sie. Wem die eigene Endlichkeit bewusst sei, der reflektiere das eigene Leben und gehe unerledigte Dinge möglicherweise ganz neu an. “Man lernt verzeihen, notwendige Tränen zu weinen und einen angemessenen Umgang mit Wut und Schuldgefühlen zu finden.”
Zugleich leiden Angehörige eines sterbenden Menschen oft nicht nur wegen des bevorstehenden Abschieds, sondern auch unter Erschöpfung. Wer sich keine Hilfe hole, laufe Gefahr, das “letzte Miteinander zu stören”, warnt die Expertin. Und auch für schwierige Situationen, etwa große räumliche Entfernung, gebe es gute Lösungen: “Sterbende sind sehr froh, wenn sie via Internet ihre Lieben sehen können. Das gilt auch bei solchen Erkrankungen, die mit viel Scham einhergehen oder es Angehörigen sehr schwer machen, sich im Patientenzimmer aufzuhalten.”