Immer mehr Menschen verzichten auf tierische Produkte – aus ethischen, gesundheitlichen oder ökologischen Gründen. Doch wie wirkt sich diese Ernährungsweise auf die Psyche aus? Ein Vegan-Coach gibt Antworten.
Leiden Veganer eher an Depressionen als Nicht-Veganer? Einige Studien haben sich bereits mit der Frage befasst, welche Auswirkungen vegane Ernährung auf die psychische Gesundheit hat – auch der Ernährungsberater Tsima Bolik. Bolik ernährt sich selbst rein pflanzlich und arbeitet als Vegan-Coach im brandenburgischen Werder an der Havel, von wo aus er andere Veganer oder solche, die es werden möchten, berät. Der studierte Psychologe liebt “großartiges Essen und Trinken”, wie er berichtet. Dennoch kennt auch er die alltäglichen Probleme von Veganern und deren Ursachen.
Veganismus als Herausforderung im zwischenmenschlichen Miteinander: “Ich habe schon Liebesbeziehungen daran zerbrechen sehen”, sagt Bolik. Auch beim Essen mit Freunden oder auf der Familienfeier könnten Veganer sich isoliert oder missverstanden fühlen, erklärt der Coach. Das verstärke negative Emotionen.
Diesen Zustand beschrieb jüngst die britische Psychologin Claire Mann als “Vystopie” in einem Interview des Magazins “Psychologie Heute”. Sie warnte vor einer Gesellschaft, in der die Menschen nicht nur die Umwelt und Tiere schädigen, sondern auch ihre eigene psychische Gesundheit und das gesellschaftliche Wohl gefährden.
Bolik spricht vom “Weltschmerz der Veganer” und meint damit die psychischen Herausforderungen, denen sich Menschen ausgesetzt sehen, die sich der Ausbeutung von Tieren bewusst sind, aber in einer Gesellschaft leben, die diese Praktiken noch weitgehend fördert. “Es gibt verschieden stark ausgeprägte Formen der Vystopie”, berichtet der Psychologe.
“Es wird als unterschiedlich belastend empfunden, um sich herum liebenswerte und intelligente Menschen zu haben, die anderes tun, als es ihren Wertvorstellungen entspricht. Die meisten Menschen würden sagen, sie gehen respektvoll mit allen Lebewesen um. Gleichzeitig zahlen viele von ihnen viel Geld dafür, eine ausbeuterische Industrie am Leben zu erhalten.” Insbesondere bei der Beziehung zu Familien und Freunden könne das Gefühl der Vystopie zu einem echten Problem werden, sagt Bolik.
Studien zur veganen Ernährungs- und Lebensweise kamen bislang zu verschiedenen Ergebnissen. Eine Untersuchung von 2021, die im “Journal of Health Psychology” veröffentlicht wurde, stellte beispielsweise fest, dass eine vegane Ernährung aus ethischen Gründen mit einer besseren emotionalen Balance und einem höheren Maß an Empathie und Lebenszufriedenheit einhergehe.
Grund dafür sei das Gefühl, ethisch korrekt zu handeln, was das Selbstwertgefühl und das allgemeine Wohlbefinden stärke. Ein höheres Maß an Empathie bescheinigten Veganern rund zehn Jahre zuvor – als Veganismus noch als gesellschaftliches Randphänomen galt – auch Wissenschaftler der Universitätsklinik San Raffaele in Mailand. Eine Studie aus dem Jahr 2019, veröffentlicht im “Journal of Affective Disorders”, beschreibt dagegen, dass Veganer häufiger unter Depressionen, Angstzuständen und sozialer Isolation leiden.
Zurückzuführen sei dies unter anderem auf die Einschränkungen, die der Verzicht auf bestimmte Lebensmittel mit sich bringt. Bei Veganern bestehe zudem ein größeres Risiko eines Nährstoffmangels, besonders bei Vitaminen und Mineralstoffen wie B12, Eisen und Omega-3-Fettsäuren. Dies könne nicht nur körperliche, sondern auch psychische Symptome wie Müdigkeit, Reizbarkeit und Konzentrationsstörungen hervorrufen.
“Es gibt offenbar eine positive Korrelation zwischen Depressionen und Veganismus”, bestätigt Bolik. “Das heißt aber nicht, dass eine vegane Ernährung ursächlich für eine Depression ist. Möglicherweise neigen besonders empathische Personen einfach zu beidem. Das Vegansein ist dann nicht die Ursache für eine Depression, sondern es gibt eine andere gemeinsame Ursache für beides.”