Die Welt schaut voller Sorge nach Brasilien. Dort, in der fünftgrößten Volkswirtschaft der Erde, hat die Bevölkerung einen neuen Präsidenten gewählt: Jair Bolsonaro. Und der ist hoch umstritten. Was ist von dort zu erwarten? Gerd-Matthias Hoeffchen sprach mit Friedrich Gierus. Der Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern lebt und arbeitet seit mehr als 50 Jahren in Brasilien.
— Brasilien hat einen neuen Präsidenten. Wie ist die Stimmung nach der Wahl?
Die Gesellschaft ist gespalten. Das hat sich schon in der Art der politischen Propaganda im Vorfeld der Wahl gezeigt. Im Wahlkampf kam es beiden Seiten darauf an, den Gegner so schlecht, intolerant und unehrlich wie möglich darzustellen. Und das mit allen Mitteln der Kommunikation: Radio, Fernsehen, Internet, WhatsApp.
— Der neue Präsident ist hoch umstritten. Wer ist denn dieser Jair Bolsonaro?
Jair Bolsonaro hat sich in der Politik bisher nicht besonders hervorgetan. Er stand plötzlich als Alternative zum bisherigen Politik-Rummel da. Wenn man bedenkt, dass etwa 40 Prozent der Politikerinnen und Politiker im Kongress und im Senat in der Hauptstadt Brasilia wegen Korruption angeklagt waren und sind, dann war alleine das schon ein Grund für Bolsonaro, weil er damit eben bisher nicht in Berührung gekommen war. Diesen Makel hatte er nicht. Deshalb wurden alte Hasen in der Politik nicht wieder gewählt. Das gilt ganz besonders für die Parteien, die die gegenwärtige Regierung unter Michel Temer mittragen.
— Es war bekannt, dass der Neue, Jair Bolsonaro, ein Freund der Starken und Reichen ist. Trotzdem haben ihn auch die Menschen aus den ärmeren Schichten gewählt.
Bolsonaros Anhänger haben erfolgreich versucht, all das, was die Arbeiterpartei und die bisherigen Regierungen unter Lula und Dilma Roussef für die arme Bevölkerung getan haben – Bildungsprogramme, Zugang zu den staatlichen Universitäten, Schulspeisung, das Wohnungsprogramm für arme Menschen – nur als Mittel zum Kauf von Stimmen bei den Wahlen zu interpretieren. Dabei kann tatsächlich gesagt werden, dass unter der Arbeiterparteiregierung der armen Bevölkerungsschicht in Brasilien immens geholfen wurde.
Aber leider wurde eben auch Vetternwirtschaft betrieben und große Wirtschaftsunternehmen bevorzugt, um Schmiergelder zu bekommen, die zur persönlichen Bereicherung dienten. Der Erfolg von Bolsonaro war sehr stark eine Protestwahl.
— Manche vergleichen Jair Bolsonaro auch deshalb mit dem US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump.
In der Tat gibt es da wohl eine Nähe. Bolsonaro und Trump haben schon miteinander telefoniert und gemeinsame politische Ziele besprochen. Klimaschutz spielt keine Rolle mehr. Der Urwald im Amazonas wird zum großen Teil Opfer des Wohlstandes werden. Inwieweit Umweltschutz noch vorrangig gehandelt wird, ist fraglich geworden.
— Was ist also für die Zukunft zu erwarten?
Es stehen sehr viele Fragezeichen im Raum. Es zeigt sich, dass Jair Bolsonaro wenig übrig hat für die arme Bevölkerung. Die indigenen Minderheiten lässt er links liegen, dem aufkommenden Selbstbewusstsein von Frauen schenkt er keine Achtung. So sind auch die Bewohner der Favelas , der Armenviertel, die Nachkommen früherer Sklaven, kein wesentlicher Gegenstand sozialer Fürsorge. Nicht zu sprechen von Bolsonaros konservativer Einstellung im Blick auf Homosexualität und Abtreibungsverbot. Dabei wird er von den größten Pfingstkirchen unterstützt.
Leider hat sich der Wahlkampf auch in der brasilianischen Kirche problematisch ausgewirkt, was ich persönlich sehr, sehr bedauere. Plötzlich vergisst man das Liebesgebot Christi. Das macht mich unsäglich traurig.
— Worin zeigen sich denn diese Auswirkungen auf die Kirche?
Seit etwa 1990 gibt es, grob gesagt, zwei Lager in der Kirche hier. Eine politische Linksbewegung, die sich mit der Arbeiterpartei identifiziert. Sie stellt vor allem soziale Belange in den Vordergrund. Dazu hat sich eine Gegenbewegung entwickelt; die ist konservativ, theologisch eher fundamentalistisch. Diese Spaltung hat sich durch die Schmutzschlacht im Vorfeld der Wahl vertieft. Das betrübt mich sehr.
Ich hatte schon vor Jahren mit anderen gemeinsam den Martin-Luther-Verein gegründet, um zwischen den Lagern zu vermitteln. Wir sagen: Als Kirche sollten wir nicht in erster Linie Politik machen, sondern evangelisches Bekennen in den Vordergrund stellen. Aus dem Evangelium heraus ergibt sich dann auch der Einsatz für soziale Aufgaben. Aber eben nicht aus politischer Ideologie, sondern auf dem Boden der christlichen Nächstenliebe. Durch den Wahlkampf ist der Graben wieder aufgerissen. Bis hin zu übelsten persönlichen Angriffen.
— Ein Fazit?
Die Wahl war ein Protest. Damit wurden die politisch bisher Mächtigen abgestraft, die sich bereichert haben. Aber jetzt schlägt die Stimmung um. Viele bekommen es mit der Furcht zu tun: Was haben wir getan? Der neue Präsident holt Minister, die Steuersenkungen wollen. Damit werden die Reichen noch mehr begünstigt. Die Lage der Armen und Schwachen verschlimmert sich weiter. Es ist schrecklich. Oben im Norden, in den Ballungszentren, noch stärker als hier bei uns im Süden.
— Weshalb?
Hier im Süden leben ja viele Nachfahren von Auswanderern aus Thüringen, Ostpreußen und anderen deutschen Gegenden. Die mussten sich jahrzehntelang abrackern, bis sie ein Auskommen hatten. Da bleibt die Mentalität: Jeder sollte eine Chance bekommen. Gerade auch die Schwachen.