Es war Hitlers Durchbruch zur Alleinherrschaft. Vor 90 Jahren ließ der Diktator SA-Chef Röhm und viele seiner Gegner ermorden. Eine Warnung an alle Deutschen.
Thomas Mann war sehr klarsichtig: “Nun, immerhin, nach wenig mehr als einem Jahr, beginnt sich der Hitlerismus als das zu erweisen, als was man ihn von jeher sah, erkannte, durchdringend empfand: als das Letzte an Niedrigkeit entarteter Dummheit und blutiger Schmach”, schrieb der Schriftsteller in sein Tagebuch.
Was Mann meinte, ist als “Nacht der langen Messer” in die Geschichtsbücher eingegangen. Am 30. Juni, 1. und 2. Juli 1934 schaltete Adolf Hitler mit Hilfe von SS-Rollkommandos SA-Chef Ernst Röhm, die Führungsriege der SA sowie weitere vermeintliche Gegner wie den früheren Reichskanzler Kurt von Schleicher und den katholischen Spitzenbeamten Erich Klausener aus. Mindestens 90 Menschen – andere Schätzungen gehen von doppelt so vielen Opfern aus – wurden ohne Prozess hingerichtet und mehr als 1.000 Personen inhaftiert.
Das Vorgehen Hitlers, als Notwehr gegen einen vermeintlichen Röhm-Putsch propagandistisch gerechtfertigt, war eine Warnung an alle Deutschen. Schon am 3. Juli veröffentlichte die Regierung Hitler im Reichsgesetzblatt ein Gesetz, das nur einen einzigen Artikel enthielt: “Die zur Niederschlagung hoch- und landesverräterischer Angriffe am 30. Juni, 1. und 2. Juli 1934 vollzogenen Maßnahmen sind als Staatsnotwehr rechtens.”
Der Historiker Peter Longerich bezeichnet das Geschehen rund um den 30. Juni 1934 in einem neuen Buch als ein “die gesamte Diktatur nachhaltig veränderndes Zentralereignis”. Er spricht von der “zweiten Machtergreifung” Hitlers – die zugleich zeigte, dass das Regime durchaus noch auf wackeligen Fundamenten stand.
Röhm, bis dahin einer der engsten Kampfgefährten Hitlers, galt als der Mann fürs Grobe. Die von ihm geführte SA lieferte sich jahrelang brutale Straßenschlachten mit Kommunisten und Sozialdemokraten. Nach der Machtübernahme schwoll die Mitgliederzahl innerhalb eines Jahres gewaltig an – von rund 500.000 auf 4,5 Millionen.
Die SA wurde zu einer Macht im Staat, die zunehmend in Konkurrenz zur Reichswehr trat und Hitlers Führungsanspruch gefährlich werden konnte – zumal Röhm eine “Zweite Revolution” forderte, ihre sozialistischen Elemente betonen wollte und Korruption anprangerte. Währenddessen wollte Hitler die Machtergreifung in ruhigere Bahnen lenken. Von der Ermordung Röhms profitierten auch die übrigen Nazi-Größen: Die SS, die seit der Übernahme der Politischen Polizei im Reich durch Heinrich Himmler noch selbstbewusster auftrat, baute ihren Einfluss deutlich aus.
Die Illusion der Ultrakonservativen, Hitler einzudämmen und eine Militärdiktatur zu errichten, schmolz dagegen wie Eis in der Sonne. Am 17. Juni 1934 hatte Vizekanzler Franz von Papen in seiner Marburger Rede das Unbehagen der Deutsch-Nationalen gegenüber den Nationalsozialisten öffentlich formuliert: “Kein Volk kann sich den ewigen Aufstand von unten leisten”, ging der frühere Zentrums-Politiker auf Kollisionskurs. Von Papen wurde während des “Röhm-Putsches” unter Hausarrest gestellt und wenig später mit dem Botschafter-Posten im Vatikan abserviert.
Neben diesen Machtkämpfen kam es im Frühjahr unter anderem durch einen deutlichen Rückgang der deutschen Exporte zu einer ernsten wirtschaftlichen und sozialen Krise im Reich, wie Longerich schreibt. Enttäuschung über das neue Regime machte sich in allen Schichten breit, insbesondere im Mittelstand, bei Handwerkern, Händlern und Bauern.
Hitlers radikales Vorgehen stieß in der Bevölkerung auf deutliches Unbehagen. Die Stimmungsberichte der Gestapo, die Longerich ausgewertet hat, zeigen, dass es deutliche Kritik am willkürlichen Terror der SS gab, vor dem nun “kein deutscher Staatsbürger mehr sicher ist”. Im Rheinland und in Westfalen war die Empörung über die Ermordung des prominenten Katholikenführers Klausener groß.