Selten ist ein Despot so großspurig gescheitert wie Benito Mussolini. Die fatalste Männerkumpanei des 20. Jahrhunderts brach ihm 1945 das Genick. Doch anders als Hitler traf den Duce nie die vollständige Verdammung.
Die Tarnung hilft dem fliehenden Ex-Diktator nicht. 20 Jahre lang war das Gesicht Benito Mussolinis in Italien omnipräsent. Bei Dongo am Comer See erkennt ein kommunistischer Partisan den Duce, der sich in einer deutschen Kolonne und in Wehrmachtsuniform Richtung Schweiz absetzen will. Die Patrouille nimmt ihn fest. Einen Tag später, am 28. April 1945, werden Mussolini und seine Geliebte Clara Petacci erschossen, die Toten nach Mailand gebracht und auf dem Piazzale Loreto kopfüber aufgehängt.
Ein rasender Mob entstellt die Leiche des verhassten Despoten. Der Mann, der den Faschismus erfand, das römische Imperium erneuern wollte und dafür sein Land an der Seite seines “Freundes” Hitler in einen ruinösen Krieg führte, endet vor 80 Jahren erbärmlich.
Am Beginn seiner Karriere hielten ihn sogar Größen der liberalen Demokratie für eine antikommunistische Lichtgestalt. Wäre er Italiener, bekannte der britische Finanzminister Winston Churchill 1927 nach einem Besuch beim Führer (Duce) des neuen Italiens, hätte er sich Mussolinis Kampf gegen den Kommunismus bedingungslos angeschlossen.
Dabei begann der 1883 im norditalienischen Predappio geborene Sohn eines Handwerkers seine politische Laufbahn selbst als Sozialist. Als Chefredakteur der Parteizeitung “Avanti” schrieb er vor dem Ersten Weltkrieg glühende Artikel für die Weltrevolution. Dann entdeckte er sein Herz für nationale Größe und überwarf sich wegen seines Drängens auf Italiens Kriegseintritt gegen Österreich-Ungarn mit den Genossen.
Doch der Sieg 1918 brachte dem Land weder den erhofften Gebietsgewinn noch milderte er die soziale Ungerechtigkeit des halbfeudalen Systems an der Schwelle zur Industrienation. Arbeiter und Landlose probten den Aufstand nach russischem Vorbild. Dagegen stellte das Bürgertum seine Milizen, die “Squadre”, auf. Der Fascio, das antike Rutenbündel römischer Beamter, wurde ihr Symbol, der Frontsoldat Mussolini ihr großspuriger Anführer: “Lasst uns einen Dolch zwischen unseren Zähnen, eine Bombe in unseren Händen und eine unendliche Verachtung in unseren Herzen haben.”
Wie später in Deutschland wurde der verachtete Parlamentarismus in den Kämpfen zwischen links und rechts zerrieben. Am Ende dirigierte Mussolini seine Sturmscharen drohend vor die Tore der Hauptstadt. Der Chef selbst absolvierte den “Marsch auf Rom” am 28. Oktober 1922 im Nachtzug aus Mailand. Der König gab nach und übertrug ihm die Regierung.
Zunächst Ministerpräsident, baute Mussolini in den folgenden Jahren seine Diktatur auf und verpasste ihr die totalitäre Ideologie des Faschismus: “Alles für den Staat, nichts außerhalb des Staates und niemand gegen den Staat”, fasste er sie zusammen. Das faschistische Gebräu vereinte Altes und Neues, Rechtes und Linkes: Nationalismus und Volkswohlfahrt, den Kult um Jugend und Krieg, eine totale Erfassung der Gesellschaft, riesige Entwicklungsprojekte und die Unterdrückung jeder Opposition.
Vor allem aber den Kult um den Duce selbst. Die Propaganda stilisierte den Mann mit dem kahlen Schädel mal als Kraftprotz mit nacktem Oberkörper, mal als Piloten und Heerführer oder Wiedergeburt römischer Caesaren. Als Redner mit großem Pathos war er zweifellos begabt. Politische Anerkennung erntete er für seinen Ausgleich mit dem Heiligen Stuhl: Die Lateranverträge von 1929 beendeten den langen Konflikt zwischen dem Papsttum und dem italienischen Staat – und begründeten den Staat der Vatikanstadt als kleinstes Land der Welt. Von der Kirche hatte der Diktator seither nicht viel zu befürchten.
Die brutale Eroberung Äthiopiens, bei der 1935 auch Chemiewaffen zum Einsatz kamen, zeigten der Welt den imperialistischen Mussolini. Seinen Traum von einem neuen römischen Mittelmeerreich hoffte er als Juniorpartner Nazideutschlands zu verwirklichen. Einst hatte Hitler den Duce als sein politisches Vorbild bewundert. Die militärische Kräfteverteilung der “Achse Berlin-Rom” kehrte dieses Verhältnis jedoch rasch um. Die italienische Armee scheiterte auf dem Balkan und gegen die Briten in Nordafrika; Hitler schickte jeweils die Wehrmacht zu Hilfe.
Doch Italiens Besetzung durch die Alliierten ab Sommer 1943 konnte auch die nicht verhindern. Rom, Neapel und Mailand wurden von Briten und Amerikanern bombardiert, während das Volk hungerte. Um den Aufstand zu vermeiden, stürzte der Große Faschistische Rat den Duce im Juli und streckte die Waffen. Nach der Befreiung Mussolinis durch ein deutsches Kommando setzte Hitler den Gescheiterten noch als Chef der norditalienischen Marionettenrepublik von Salo ein – ein letztes, bizarres Kapitel, das im April 1945 an jener Straßenkreuzung am Comer See endete.