Die erste Erscheinung auf Frankreichs Straßen löste 1955 schiere Begeisterung aus, als die Citroën DS (“déesse” = Göttin) präsentiert wurde. Erst 20 Jahre später, 1975, war Schluss. Doch die Faszination ist geblieben.
“Als wir auf die Champs-Elysées einbogen, stoppten neben uns die Autos. Auf den Lippen der Menschen lasen wir die Worte: La Déesse! La Déesse!” Konstrukteur Paul Magès (1908-1999) erinnert sich an jenen denkwürdigen 5. Oktober vor 70 Jahren, der die Welt der Automobile bis heute veränderte. Die erste Erscheinung einer “Göttin” auf Frankreichs Straßen löste schiere Begeisterung aus, als sich die neue Citroën DS (“déesse” = französisch Göttin) auf ihrer Jungfernfahrt zum 42. Pariser Autosalon einer verblüfften Öffentlichkeit präsentierte.
Dieses Gesicht! Diese Formen: langgestreckt und tropfenförmig, das Hinterrad elegant verkleidet, der trompetenartige Chrom-Blinker an der fließenden Dachlinie, der so majestätisch einen bevorstehenden Richtungswechsel anzeigt – einfach göttlich. In Frankreich ist das Auto weiblich. Und es bedurfte nicht mal der “Kühlerfigur” Gina Lollobrigida, die für den Titel des “Paris-Match” mit einer DS posierte, um Männerherzen höher schlagen zu lassen. Schon 45 Minuten nach Eröffnung des Salons lagen angeblich 750 Bestellungen vor, bis zum ersten Abend sollen es 12.000 gewesen sein. Das Telefonnetz der Citroën-Zentrale am Quai de Javel sei zusammengebrochen, hieß es werbewirksam.
Und noch wussten nur die wenigsten, welch innovative, ja revolutionäre Technik – nach den ersten Kinderkrankheiten – unter dem Blech heranreifte: die unvergleichliche hydropneumatische Federung, die die Göttin nach dem Anlassen aufschaukelt. Ganz sanft; erst hinten, dann vorn. Mit einer DS vergaß man, dass es schlechte Straßen gab.
Und sie brachte selbst das Unglaubliche fertig: Eine DS fährt problemlos auch auf drei Rädern, sollte eines mal ausfallen. Beim Präsidenten der Republik waren es an jenem 15. Oktober 1961 sogar nur noch zwei, als die Staatskarosse von Charles de Gaulle von militanten Gegnern seiner Algerien-Politik mit Maschinenpistolen beschossen wurde. Zwei Reifen platzten – doch die Göttin gab Gas, brauste davon und entkam.
Zu diesem Nimbus der Unschlagbarkeit kamen weitere atemberaubende Innovationen hinzu: das Lenkrad mit nur einer einzigen Speiche; ein kleiner Bremsknopf, dessen gewöhnungsbedürftiges Handling so manchen Beifahrer an der Windschutzscheibe landen ließ; Scheinwerfer, die in den Kurven mitlenkten. Die Göttin war das Statussymbol des mondänen Frankreich.
Sie reüssierte in provokanten Bonbonfarben, in Creme wie in staatstragendem Schwarz; als vom Dach befreiter “Puppenfänger” für die Dandys der 60er Jahre; als rollendes Büro der Firmenbosse, als siegreicher Rallyeflitzer, als Familienkutsche und sogar als komfortabler Kranken- und Leichenwagen. Jean Marais jagte als “Fantomas” in der DS durch die Straßen von Paris, und selbst im Vatikan wurde eine gelenkt.
Der französische Philosoph Roland Barthes schwärmte 1957 von der DS als “humanisierter Kunst”, als modernes “Äquivalent der großen gotischen Kathedralen”, erdacht von unbekannten Künstlern und benutzt von einem ganzen Volk, das sich “ein magisches Objekt aneignet”. So sehr war die futuristische DS ihrer Zeit voraus, dass sie kaum verändert über zwei Jahrzehnte gebaut werden konnte. Am 24. April 1975, vor 50 Jahren, rollte die 1.330.755. und letzte vom Band. Das Ende einer automobilen Ära.
An die geniale Zeit von “Ente” und “Göttin” konnte Citroën nie mehr anknüpfen. Der 2010 “DS3” getaufte “Lifestyle”-Mittelklasse-Wagen von der Stange sorgte bei Fans eher für Entrüstung denn für neue Euphorie. Und auch die Gründung von “DS Automobiles” als eigenständige Premiummarke im Jahr 2014 wurde eher als Rumgemurkse an einer ehemaligen Legende empfunden.
Bis heute zucken Männer um die fünfzig bei französischen Filmen der 60er und 70er Jahre zuweilen gequält vor dem Bildschirm zusammen. Die DS, die Louis de Funès da gerade im See versenkt – oder jene, die Lino Ventura da auf seiner Verfolgungsjagd zuschanden fährt: Das hätte meine sein können!