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Vor 100 Jahren wurde Kambodschas Diktator Pol Pot geboren

Als personifiziertes Grauen gilt der kambodschanische Diktator Pol Pot. Bis heute hat sich das südostasiatische Land nicht von seinem Terrorregime erholt. Das ist nur ein Grund, sich mit seinen Taten auseinanderzusetzen.

“Er war auffallend charmant mit einer sanften, weichen Stimme.” So erinnerte sich Nate Thayer an seine Begegnung mit Pol Pot. Thayer war der letzte westliche Journalist, der den damals schon gebrechlichen kambodschanischen Ex-Diktator ein gutes halbes Jahr vor dessen Tod 1998 interviewte. “Sehr charismatisch, sehr sympathisch” sei ihm Pol Pot vorgekommen, fügte der US-Amerikaner hinzu. “Bis wir zu reden begannen. Er sagte, dass er im Grunde keine Reue für seine Taten in Kambodscha empfinde; dass er mehr Gutes als Schlechtes getan habe.”

Tatsächlich sah die Sache anders aus. Der “Steinzeitkommunist” Pol Pot und seine Clique führten das südostasiatische Land in einen Abgrund von Hunger, Gewalt und Tod. Von 1975 bis 1979 waren der “Bruder Nr. 1” und seine Roten Khmer an der Macht. In dieser Zeit kamen bei einer Gesamtbevölkerung von 7 Millionen Menschen mindestens 1,5 Millionen Männer, Frauen und Kinder ums Leben, wie Pol Pots Biograf Philip Short vorrechnet. “Eine beträchtliche Minderheit wurde hingerichtet; der Rest starb an Krankheit, Überarbeitung oder Hunger.”

Saloth Sar, so Pol Pots bürgerlicher Name, kam vor 100 Jahren als Sohn einer wohlhabenden Familie im Dorf Prek Sbauv zur Welt. Der 19. Mai als oft kolportierter Geburtstag ist allerdings ebenso ungewiss wie 1925 als Geburtsjahr. In jenen Zeiten hätten die Familien in Kambodscha ihre Kinder meist erst dann registriert, wenn sie eine Zulassung für die Schule benötigten, schreibt Short. Die unklaren Anfänge passen zum Leben Pol Pots, der sich gern mit einer Aura des Geheimnisvollen umgab.

Als Saloth Sar heranwuchs, herrschten noch die Franzosen im damaligen Indochina. Nach dem Zweiten Weltkrieg begann Frankreichs Macht über Kambodscha und die Nachbarstaaten Vietnam und Laos zu bröckeln. Stattdessen wurde die Region zum Schauplatz eines blutigen Stellvertreterkrieges zwischen den beiden Großmächten im Kalten Krieg, den USA und der Sowjetunion. Auf allen Seiten zählte ein Menschenleben nicht viel. Saloth Sar, der 1949 für einige Zeit in Paris studierte, schlug sich auf die Seite der kommunistischen Roten Khmer.

Kern von deren Ideologie sei die “Wiederherstellung einer agrarischen Gesellschaft”, fasst der Politikwissenschaftler Stefan Rother zusammen. “Während die Landbevölkerung idealisiert wurde, galten Stadtbewohner pauschal als Klassenfeinde.” Städte seien binnen weniger Tage evakuiert worden. “Auf den Gewaltmärschen in die ländlichen Regionen starben Zehntausende, sofern sie nicht schon vorher eingesperrt und umgebracht worden waren. Industrie- und Dienstleistungsbetriebe wurden geschlossen, Bücher verbrannt, Lehrer, Händler und fast die gesamte intellektuelle Elite des Landes ermordet. Religionen wurden verboten, Gotteshäuser zerstört und Minderheiten verfolgt und getötet.”

Das Grauen, das über die Bevölkerung hereinbrach, schilderte als einer der ersten ein katholischer Priester aus Frankreich, der zu Jahresbeginn gestorbene François Ponchaud. Sein 1977 erschienenes Buch “Cambodge année zéro” (“Kambodscha Jahr Null”) sorgte für Furore. Unter anderem, weil der prominente US-Sprachwissenschaftler Noam Chomsky dem Augenzeugen vorwarf, die Roten Khmer nicht richtig verstanden zu haben. Ein Vorwurf, der zynisch anmutet angesichts der im Land verteilten Stätten von Massenmorden, den sogenannten Killing Fields, oder dem Foltergefängnis Tuol Sleng, das lediglich zwölf Gefangene, darunter vier Kinder, lebend wieder verließen.

Ein von den Vereinten Nationen unterstütztes Sondertribunal sollte von 2006 bis 2022 die Aufarbeitung der monströsen Verbrechen der Roten Khmer voranbringen. Pol Pot war da schon lange tot – aber sein Schatten reicht weit, wie Stefan Rother betont. “Die Bevölkerung leidet noch immer unter Traumatisierung, Landraub, einem schwachen Justizsystem und Korruption.” Die Roten Khmer seien weiterhin im Untergrund aktiv, stellten derzeit aber keine akute Bedrohung dar.

Nicht nur deshalb lohne es, sich mit Pol Pot und seinem Regime auseinanderzusetzen, schreibt Buchautor Philip Short. “Wenn wir darüber nachdenken, was in Kambodscha geschehen ist, blicken wir nicht auf eine exotische Horrorgeschichte, sondern in die Dunkelheit, in die verdorbenen Ecken unserer eigenen Seele.”