Die biblische Gastfreundschaft reicht tief. Im Griechischen bedeutet das Wort Gastfreundschaft so viel wie Fremdenliebe. Abraham und Sara zum Beispiel nehmen im ersten Buch Mose, Kapitel 18, drei verschwitzte Wanderer auf Durchreise bei sich auf. Sie bekommen Wasser, um sich die Füße zu waschen. Sara backt Brot, Abraham lässt ein Kalb schlachten und zubereiten, Milch und Butter auftragen. Hinterher stellt sich heraus, dass mit den drei Fremden Gott selbst zu Besuch gekommen war.
Abrahams Neffe Lot nimmt Gastfreundschaft so ernst, dass man ihn deswegen als schlechten Vater bezeichnen könnte (1. Mose 19). Er bewirtet seine Gäste, als die Männer der Stadt ihn plötzlich bedrängen, die Gäste herauszugeben, damit sie sich an ihnen vergehen können. Er weigert sich. Eher ist er bereit, ihnen seine Töchter zu überlassen. So weit kommt es nicht – da ist Gott vor.
Jesu Leben beginnt ungastlich
Im Neuen Testament setzt sich das hohe Lied auf die Gastfreundschaft fort. Obwohl es zunächst schwach tönt. Denn Jesu Leben beginnt ungastlich. Niemand will seine hochschwangere Mutter mit ihrem Mann Josef aufnehmen. Jesus kommt in einem Futtertrog zur Welt, so beschreibt es das Lukasevangelium. Gott wird Mensch und hat keinen Platz in der Welt.
Später wird die Gastfreundschaft zu einem der wesentlichen Merkmale des Wirkens Jesu. Als Wanderprediger ist er auf die Gastfreundschaft anderer angewiesen (Lukas 8,1-3). Seinen Jüngern empfiehlt er, es ihm gleichzutun. Sie sollen nichts mitnehmen, sondern sich auf die Gastfreundschaft der Menschen verlassen, bei denen sie einkehren. Er erwartet, dass die Menschen, die ein Ohr für die Botschaft Gottes haben, auch bereit sind, Nächstenliebe zu praktizieren und seine Jünger aufzunehmen (Matthäus 10,10). „Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan“, sagt Jesus (Matthäus 25,40b).
Beisammensein ist wichtiger als umsorgen
Es wird aber auch diejenigen geben, die sich nicht gastfreundlich verhalten wollen. „Und wenn sie euch nicht aufnehmen, dann geht fort aus dieser Stadt und schüttelt den Staub von euren Füßen zum Zeugnis gegen sie“, empfiehlt Jesus (Lukas 9,5).
Die Schwestern Maria und Marta sind geradezu beispielhaft gastfreundlich (Lukas 10,38-42). Sie freuen sich, Jesus häufig in ihrem Haus begrüßen zu können. Marta kocht leckeres Essen für Jesus, wirbelt emsig herum. Maria hingegen sitzt zu Füßen Jesu, genießt die Gemeinschaft mit ihm. Beide sind auf ihre unterschiedliche Weise freundlich zu ihrem Gast.

Jesus freut sich über beide Ausdrucksformen der Gastlichkeit: Er erkennt an, wie viel Mühe sich Marta mit dem Essen in einer aufgeräumten Wohnung macht. Über Maria, die einfach dabeisitzt, sagt Jesus: „Sie hat das gute Teil erwählt.“ Gemeinsame Zeit mit Reden und Zuhören ist wertvoll.
Erfahrene Wertschätzung verändert Leben
Theologisch bedeutend ist die Geschichte von Zachäus (Lukas 19,1-10). Er treibt Steuern ein, ist von den Römern eingesetzt, gilt als „Reicher“. Er klettert auf einen Maulbeer-Feigenbaum, um den Einzug Jesu in die Stadt zu beobachten. Völlig überraschend begrüßt Jesus ihn im Vorbeigehen mit seinem Namen, kehrt dann sogar in seinem Haus ein. Die Menge murrt. Bei einem solchen Typen lässt er sich nieder. Doch Jesus isst so oft mit Zöllnern und Sündern (Markus 2,15-17; Lukas 19,1-10), dass er als „Freund von Schlemmern und Säufern“ (Matthäus 11,19) verunglimpft wird. Seine Gegner kritisieren ständig, von wem er sich einladen lässt.
Jesu Wertschätzung wirkt: Zachäus ändert sein bisheriges Leben und gelobt vor Gott, die Hälfte seines Besitzes an die Armen zu geben. Was er sich mit Betrug unter den Nagel gerissen hat, will er vierfach erstatten.
Gemeinsames Essen und Trinken ist Jesus wichtig
Jesus erfährt Gastfreundschaft am eigenen Leib, aber er sorgt auch für andere. Während einer Predigt am See Genezareth hören ihm 5000 Menschen gebannt zu. Es wird Abend, die Leute werden hungrig. Jesus sorgt spontan für eine große Abendmahlzeit (Lukas 9,10-17). Aus wenig wird viel. Es gibt nur fünf Brote und zwei Fische. Alle essen, werden satt und es bleibt sogar noch etwas übrig.
Das Zusammensein mit anderen, das gemeinschaftliche Essen und Trinken ist für Jesus so wichtig, dass er mit seinen Freunden zu einem großen Mahl zusammenkommt, kurz bevor er sterben muss. Christinnen und Christen denken daran, wenn sie gemeinsam das Abendmahl feiern.

Nachdem Paulus in Römer 1-11 die Gnade Gottes und das Evangelium ausführlich erklärt hat, zieht er in Kapitel 12 die praktischen Konsequenzen für den christlichen Alltag. Eine davon ist: „An den Bedürfnissen der Heiligen nehmt teil; nach Gastfreundschaft trachtet!“ (Römer 12,13). Eine ähnliche Logik findet sich im Hebräerbrief: „Gastfrei zu sein vergesst nicht; denn dadurch haben einige ohne ihr Wissen Engel beherbergt!“ (Hebräer 13,2). Gastfreundschaft für die frühchristlichen Wandermissionare trägt wesentlich dazu bei, dass sich das Evangelium ausbreitet.
Gastfreundschaft dient der Überwindung sozialer Schranken
Das zeigt auch ein etwas zwanghaftes Beispiel für Gastlichkeit. Die Purpurhändlerin Lydia in Philippi, „eine Gottesfürchtige“, drängt Paulus und Silas ihre Gastfreundschaft förmlich auf (Apostelgeschichte 16,12-15). „Und sie nötigte uns“ heißt es. Ein spätes Beispiel steht im dritten Johannesbrief. Der Autor lobt Gaius (Vers 5) für dessen treues Handeln an „fremden Brüdern“; es wird mit der Erinnerung an die weiter geltende Pflicht verbunden, solche Leute aufzunehmen, damit auch wir Gehilfen der Wahrheit werden. Die Gastfreundschaft im Neuen Testament ist Bestandteil der häuslichen Mahlkultur und dient der Überwindung sozialer Schranken.