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Volkstrauertag: Die Botschaften der Kriegerdenkmäler

100.000 Kriegerdenkmäler gibt es in Deutschland, die ersten entstanden im Kaiserreich. Hier zeigen sich die Widersprüche zwischen der Botschaft der Steine von früher und der Menschen von heute.

Das Kriegerdenkmal in Busdorf bei Schleswig. Kränze liegen vor dem Denkmal für die toten Soldaten beider Weltkriege mit dem Sinnspruch: „Ein einig Volk, ein heilig Band, Gott, Freiheit, Vaterland“
Das Kriegerdenkmal in Busdorf bei Schleswig. Kränze liegen vor dem Denkmal für die toten Soldaten beider Weltkriege mit dem Sinnspruch: „Ein einig Volk, ein heilig Band, Gott, Freiheit, Vaterland“Marlise Appel

Das Gedenken und Erinnern, so unser Selbstbild, hat in Deutschland einen hohen Stellenwert. Und tatsächlich fällt es schwer, die Menge von Denkmälern, Gedenksteinen und -tafeln im öffentlichen Raum zu schätzen. Plätze, Parks, Friedhöfe – überall stehen Denkmäler oder Gedenksteine.

Wer genau hinschaut, sieht eine Allgegenwärtigkeit von Erinnerungskultur. Doch wer schaut schon genau hin? Im Alltag gehen wir achtlos an Denkmälern vorbei, sie gehören einfach zum Bild von Städten und Dörfern. Ein Platz hat meist ein Denkmal in der Mitte, das gehört für uns dazu. Bemerken tun wir bestenfalls die Springbrunnen im Sommer. Denkmäler kaum. „Nichts ist so unsichtbar wie ein Denkmal“, schrieb Robert Musil.

Vielleicht ist dies der Grund, dass wir selten Denkmäler beseitigen. Der Revolution 1918 fielen kaum Denkmäler der Hohenzollern zum Opfer, die Nazis beseitigten 1933 nur wenige, schlicht weil es kaum welche gab, an denen sie sich störten. Erst im Zweiten Weltkrieg wurden die Denkmäler aus Metall gestürzt, um Munition daraus zu machen. 1945 schließlich fielen einige Nazi-Denkmäler und 1989 im Osten etliche Lenin- und Thälmann-Denkmäler. Aber in der Regel wurden neue aufgestellt, ohne die alten zu beseitigen. Wir sind halt keine Denkmalstürmer.

Mehr Kriegerdenkmäler als Stolpersteine in Deutschland

Und so haben wir heute das Holocaust-Mahnmal in Berlin als von der Fläche her größtes Denkmal. Ansonsten sind es aber ein paar Göttinnen und große Sieger von Herrmann, dem Cherusker, bis zum Hamburger Bismarck, die wohl am herausragendsten sind. Mehr Sieger und Potentaten als Dichter und Denker und Frauengestalten meist nur als Göttinnen und Musen.

Die wohl größte Zahl stellen die mindestens 100 000 Kriegerdenkmäler in Deutschland, also deutlich mehr, als in Deutschland Stolpersteine für die Opfer des Nationalsozialismus liegen. Und vor allem sind sie größer.

Das Denkmal für die im 2. Weltkrieg ermodeten Juden Europas in Berlin
Das Denkmal für die im 2. Weltkrieg ermodeten Juden Europas in BerlinUnsplash / Luca Iaconelli

Die Kriegerdenkmäler entstanden als Siegesdenkmäler und glorifizierten den Soldatentod fürs Vaterland. Ihre Zeit begann nach den napoleonischen Kriegen. Auf dem Berliner Kreuzberg steht das „Nationaldenkmal“ für die Befreiungskriege.

Eine große Welle der Kriegerdenkmäler begann nach der Gründung des Kaiserreichs 1871 vor allem für die Toten des deutsch-französischen Krieges, die „mit Gott“ „für Kaiser und Reich“ ums Leben kamen.

Denkmäler sollen Orte der Trauer schaffen

Nach der Niederlage des Ersten Weltkriegs schließlich entstanden „Ehrenmäler“ in jedem Dorf. Es galt einerseits Orte der Trauer zu schaffen für die fern der Heimat Bestatteten. Andererseits wurden diese Denkmäler mit einer Sinnstiftung versehen, die den Soldatentod als „Heldentod“ verklärte und vor allem christlich als Opfertod für das Vaterland verbrämte. Häufig wurde verklausuliert zur Revanche gegen die Sieger aufgerufen:

„Wir Toten fordern als unser Recht / Die alte Treue vom neuen Geschlecht“. So steht es beispielsweise auf dem Kieler Nordfriedhof. Oft wurde dieser Sinnspruch verkürzt auf die Formel „Treue um Treue“.

Schon die Feiern zum Volkstrauertag in der Weimarer Republik, die an diesen Denkmälern abgehalten wurden, forderten vielfach zu „Revanche“ auf gegen die „Sieger“ des Ersten Weltkriegs. Im Nationalsozialismus, wo der Volkstrauertag in „Heldengedenktag“ umbenannt wurde, dienten die Feiern der Kriegsvorbereitung.

Auch für die Opfer des Nationalsozialismus

Auch wenn einige dieser Kriegerdenkmäler – vor allem in Ostdeutschland – zerstört wurden, blieben doch die meisten erhalten. In Westdeutschland wurden sie meist in den 1950er Jahren ergänzt um Namenstafeln der im Zweiten Weltkrieg gestorbenen Soldaten. Erst viel später kam mitunter eine Tafel hinzu, auf der den „Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft“ gedacht wurde. Das war in den 1960ern eine Errungenschaft, wurden so doch auch erstmals die Opfer des Nationalsozialismus bedacht. Für sie wurden sonst meist neue Denkmäler geschaffen – viele in der DDR, wo zudem Ehrenmäler entstanden für die toten Sowjetsoldaten. Nach der Wiedervereinigung wurden schließlich einige der zerstörten Kriegerdenkmäler in Ostdeutschland rekonstruiert, aber selten mit neuen Sinnstiftungen versehen.

Wir könnten jetzt mit Robert Musil sagen, diese Denkmäler sind doch unsichtbar. Wir brauchen einen Anlass, damit uns ein Denkmal bewusst wird, es für uns sichtbar wird. Dies geschieht durch Rituale – Gedenkfeiern.

Gedenkrituale am Volkstrauertag

Der Tag im Jahr, an dem am meisten Kriegerdenkmäler im Zentrum eines Rituals stehen, ist der Volkstrauertag. Auf ungezählten Veranstaltungen wird oft in Zusammenhang mit einem Gottesdienst zum örtlichen Ehrenmal gezogen, um dort ein Gedenkritual abzuhalten: Eine Ehrenwache zieht auf, entweder von der Bundeswehr oder der örtlichen Feuerwehr. Reden werden gehalten vom Bürgermeister und der Pastorin. Dann werden Kränze niedergelegt und zum Abschluss wird das Lied vom guten Kameraden von der Blaskapelle gespielt. So in etwa finden die meisten Rituale landauf landab vor allem im ländlichen Raum statt.

epd-bild / www.alabiso.de

Und während die Reden gehalten werden, spätestens, wenn am Fuß des Denkmals die Kränze niedergelegt werden, steht das Denkmal selbst im Mittelpunkt.

Und dann tut sich ein Widerspruch auf zwischen dem Ritual, dessen Reden meist an die Schrecken des Krieges und des Nationalsozialismus und all seiner Opfer erinnern und Frieden in der Welt von heute anmahnen, und den Denkmälern, die nicht den Opfern des Nationalsozialismus, sondern vielmehr denjenigen gewidmet sind, die beteiligt waren am Vernichtungskrieg der Nationalsozialisten.

Vergangenheit verstehen und richtig handeln

Vor diesen Denkmälern Kränze niederzulegen, zeugt von einer Geschichtsvergessenheit, die uns hindert, die Vergangenheit zu verstehen und in der Gegenwart richtig zu handeln. Werden hieran Bundeswehrangehörige beteiligt, verstößt dies zudem gegen den Traditionserlass der Bundeswehr. Darin heißt es klar: „Die Bundeswehr pflegt keine Tradition von Personen, Truppenverbänden und militärischen Institutionen der deutschen (Militär-)Geschichte, die nach heutigem Verständnis verbrecherisch, rassistisch oder menschenverachtend gehandelt haben.“

Diese Praxis herrscht nicht überall. So wird in Hamburg am Volkstrauertag ausdrücklich auch der zivilen Opfer des Krieges und der Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Die zentralen Gedenkfeiern finden nicht an derart belasteten Denkmälern statt.

Soldatentod wird heroisch verklärt

Insbesondere im ländlichen Raum ist aber das Ritual des Volkstrauertages meist mit Denkmälern verbunden, die den Soldatentod als heroisch verklären, ihn religiös verbrämen und die zivilen Opfer der Kriege und des Nationalsozialismus ausblenden.

Viel zu selten werden diese Kriegerdenkmäler durch Veränderung oder Kommentierung zu Lernorten umgestaltet, an denen an die Entstehung von Kriegen erinnert und an Frieden gemahnt wird. Welch verpasste Chancen!

Das Projekt „Denk mal gegen Krieg“ wirbt im Bereich der Nordkirche für einen reflektierten Umgang und zeigt Beispiele auf, wo und wie Kriegerdenkmäler verändert wurden.

Zum Autor: Stephan Linck ist Studienleiter für Erinnerungskultur und Gedenkstättenarbeit in der Evangelischen Akademie der Nordkirche.