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Über den Alltag einer Berliner Schülerin nach dem Hamas-Terror

Wie lebt es sich als jüdische Schülerin in Berlin nach den Massakern vom 7. Oktober in Israel? Einblicke in den Alltag einer 18-Jährigen – und ihre Freundschaft mit einer Palästinenserin.

Nogah Wank Avdar sagt, sie fühle sich als Jüdin in Berlin manchmal sehr allein: der Antisemitismus in Deutschland nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober, die Sorgen um Verwandte und Bekannte in Israel, die Trauer um Ermordete dort. Viele nichtjüdische Menschen könnten das alles nicht verstehen. “Es gibt viele Juden, die Israel momentan als sicherer betrachten als Deutschland”, meint die 18 Jahre alte Schülerin.

Denn in Israel hätten Jüdinnen und Juden trotz des aktuellen Krieges wenigstens die Gemeinschaft als “stärkende Konstante”. Die Menschen stünden zusammen, alle zögen an einem Strang, und niemand müsse sich erklären oder sich für den Gegenschlag Israels als Antwort auf die Hamas-Massaker rechtfertigen. “Hier in Deutschland hat man das alles nicht”, sagt Wank Avdar der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

Zuvor saß sie zum Auftakt des 5. Gemeindetags des Zentralrats der Juden in Deutschland am Donnerstagabend in Berlin auf einem Podium, um über Antisemitismus in der Schule zu sprechen. Sie ist bei dem Projekt “Meet a Jew” engagiert und berichtet an Schulen über sich, das Judentum und Antisemitismus. Wank Avdar selbst besucht eine nichtjüdische Schule. “Es hat sich sehr viel verändert seit dem 7. Oktober.” Antisemitismus habe es auch davor gegeben, doch jetzt trete er deutlich verstärkt auf: gegen Israel gerichtete Schriftzüge an Toilettenwänden oder “kleine Bemerkungen” an ihre eigene Adresse.

Bis Mitte November hat das Bundeskriminalamt nach Medienangaben rund 3.300 Straftaten mit Bezug zum Nahost-Konflikt deutschlandweit seit dem Angriff der Hamas erfasst. Dabei handele es sich vor allem um Fälle von Sachbeschädigung, Volksverhetzung und Widerstandsdelikten, hieß es. Im Rahmen von Demonstrationen sei es außerdem zu mehreren hundert Gewalttaten gekommen.

Zwischen 7. Oktober und 9. November registrierte der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (Rias) insgesamt 29 antisemitische Vorfälle pro Tag – ein Anstieg von 320 Prozent. Darunter waren auch Vorfälle, die keine Straftaten sind.

“Juden dürfen nicht nur unter Juden sicher sein”, sagt Wank Avdar der KNA. “Es kann nicht sein, dass wir Angst haben müssen, stattdessen sollten wir stolz auf unsere Jüdischkeit sein.” Die Probleme reichen selbst ins tiefste Innere ihres Privatlebens, denn ihre beste Freundin in Berlin sei Palästinenserin. Die Gespräche mit ihr seien nicht einfach, sie hätten Auseinandersetzungen.

In der unmittelbaren Zeit nach den Raketen und Massakern der Hamas am 7. Oktober habe sie sich kaum konzentrieren können in der Schule und habe auch ein paar Tage gefehlt, so Wank Avdar. “Wir waren alle k.o.” – von den schrecklichen Nachrichten und der Informationsbeschaffung in ihrem großen Bekanntenkreis in Israel, aus dem nicht alle Menschen den Terrorangriff überlebt hätten. Manchmal sei sie aus dem Unterricht gegangen und habe geweint, erinnert sich Wank Avdar.

“Es hat uns schon sehr stark beeinflusst in unserer Familie, in unserem täglichen Leben. Es war ein einschneidendes Erlebnis.” In der Gemeinde in Berlin seien für die Toten der Familie im fernen Israel zum Beispiel die Trauerrituale begangen worden. Was ihre beste Freundin angehe, stehe die Angst im Raum, dass die Freundschaft zerbrechen könne, sagt die 18-Jährige mit ernstem Gesicht. Beide dächten nun über ein Gespräch mit einer Mediatorin nach.