Einen Termin ausfallen zu lassen, kommt für sie überhaupt nicht infrage. Jeden Donnerstag drängen sich 56 Mädchen und Jungen der „Angel of Mercy“-Schule im ersten Stock eines Container-Baus in Nairobi zusammen, wo es etwas gibt, zu dem sie sonst keinen Zugang haben: Laptops. Das rote Gebäude der „Mathare Community Center Library“ sticht heraus aus der Umgebung, es ist der bessere Teil von Mathare, einer der größten informellen Siedlungen in der kenianischen Hauptstadt.
Zum einen wird Nairobi auch Silicon Savannah genannt, in Anlehnung an das US-amerikanische Silicon Valley. Doch die Lücke zwischen denen, die Zugang zu digitaler Infrastruktur haben, und denen, die abgehängt sind, ist groß. Nach Angaben des Datenportals DataReportal hatte Anfang 2023 nur etwa ein Drittel der kenianischen Bevölkerung Zugang zum Internet.
Zu sechst oder siebt scharen sich die Kinder und Jugendlichen um jeden der neun Laptops der Bücherei, einer Einrichtung der Hilfsorganisation Mathare Community Center Library. Ein Bildschirm wird mit einem Beamer an die Wand projiziert. Daneben sitzt Calvins Muchiri, der die Computerstunde heute leitet. Das Thema: Microsoft Word. Muchiri erklärt auf Sheng, einem sich ständig weiterentwickelnden Sprachenmix aus Englisch, Suaheli und anderen lokalen Sprachen, wie man ein Dokument erstellt und Schriften formatiert.
„Habt ihr das verstanden oder sollen wir das nochmal wiederholen?“, fragt er. „Wiederholen“, schallt es von allen Seiten. Die Laptops werden über die Tische geschoben, jeder soll mal scrollen und tippen dürfen. Digital Literacy, also digitale Alphabetisierung, nennen sie das Programm hier. Die Idee dahinter stammt von George Wanjala. Er ist IT-Fachmann in Deutschland, hat aber auch in der Konflikttransformation in Palästina und auf den Philippinen gearbeitet.
Leapfrog finanziert und organisiert
Der Verein Leapfrog, der die Trainings in Mathare finanziert und organisiert, ist Wanjalas Weg, sich in die kenianische Gesellschaft einzubringen. 2010 hat er gemeinsam mit Freundinnen und Freunden den Verein gegründet. Als der Arabische Frühling seine Kraft durch die sozialen Netzwerke wie Twitter gewann, war ihm klar: Mehr Menschen überall auf der Welt sollten Zugang zum Internet haben, ihre Rechte kennen und sich vernetzen können.
Nach Projekten in verschiedenen Orten in Kenia, Ghana und Kamerun arbeitet Leapfrog seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie mit der Mathare Community Center Library zusammen. Weil die öffentlichen Schulen für ein Jahr komplett geschlossen waren, war die Bücherei für viele Kinder in der Umgebung der einzige Anlaufpunkt, um weiter zu lernen. Mit den Büchern, die Schüler ausleihen können. Und mit den alten Rechnern einer Hilfsorganisation, mit denen sie dann die ersten Computerkurse starteten und den Zugang in die weite Welt des Netzes fanden.
An mehreren Tagen die Woche öffnet das Zentrum nun seine Türen für Schulklassen aus der Umgebung. Immer donnerstags ist die 13-jährige Lydia dabei. Sie will einmal Kommissarin werden und heute darf sie mitbestimmen, wie der Buchentwurf heißt, den sie mithilfe einer Word-Vorlage erstellen: „Angel of Mercy“ (Engel der Barmherzigkeit), so wie ihre kleine Schule in der Nachbarschaft.
Der einzige andere Ort, an dem es Zugang zu Computern gibt, sind die kleinen Cybercafés, die es in Mathare gibt, sagt Lydia. Doch da kostet der Zugang Geld. Wenn sie mal umgerechnet zehn Cent bekommen, dann kaufen Lydia und ihre Freundinnen sich manchmal Internetzeit. Und gucken Videos auf Tiktok.
Uni trotz der Corona-Schulpause
George Wanjala und sein Team wollen den Jungen und Mädchen aber auch zeigen, was die digitale Welt außerhalb der Sozialen Netzwerke birgt. Und bei einigen Jugendlichen hat das Programm schon Früchte getragen. Manche haben den Aufnahmetest an der Uni trotz der Corona-Schulpause geschafft, andere engagieren sich weiter in der Bibliothek, gestalten jetzt die Poster für Veranstaltungen vor Ort.
„Für eine bessere, eine gerechtere Welt ist es zentral, dass Menschen Zugang zur digitalen Wirtschaft haben“, sagt Wanjala. Die Kurse sind ein Weg dahin. „Die Nachfrage ist riesig“, sagt er, „wir wollen uns vergrößern.“ Doch dafür braucht es Geld, und von der kenianischen Regierung ist vorerst trotz aller Bekenntnisse zur Digitalisierung nichts zu erwarten. Für das Projekt bekamen Wanjala und sein Team deutsche Entwicklungsgelder.